Philologie des Elends III

Philologie des Elends III

Ein Linksgutachten
Teil III
(Teil I, Teil II)

»Der Verwender [des Gendersternchens] soll anerkennen, dass alle die 53 Geschlechter, die in Deutschland zur Zeit reklamiert werden, von ihm anerkannt werden.
Und ich interpretiere [das] als Unterwerfungsgeste.«
(Peter Eisenberg)

»Mit dem sog. generischen Maskulinum kann deskriptiv ein spezifischer (historischer) Sprachgebrauch beschrieben werden, welcher Änderungen unterliegt, oder normativ eine grammatikalische Regel aufgestellt werden, von der nicht ohne Weiteres abgewichen werden kann. In den Diskussionen um sprachliche Gleichbehandlung und geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache steht die normative Dimension klar im Vordergrund … «
(Ulrike Lemble)

Ich möchte jetzt nicht sagen, dass Frau Lembke besessen ist vom generischen Maskulinum.
Ich muss.
Frau Lembke ist besessen. Sie erwähnt es über hundert Mal, meist mit »sog.« oder »pseudo-« versehen. Es ist aber auch ein Teufelszeug! Bei ihrem Exorzismus vergisst sie leider, sich mit dem theoretischen Unterbau zu befassen und dabei enthebt sie sich nicht nur der Mühe, sondern auch der Chance, wissenschaftlich ernst genommen zu werden.

Ein Physiker würde nie sagen: Den Äther gibt es nicht, das ist jetzt bewiesen.
Er sagt: Das Modell ist nicht mehr nötig; wir können die Ausbreitung des Lichts viel besser erklären, wenn wir das elektromagnetische Feld hernehmen, für das auch nicht gilt, dass es existiert oder nicht existiert; dieses Modell funktioniert jedenfalls sehr gut.
Das geozentrische Modell scheint uns heute widersinnig, aber man konnte trotzdem die Bahnen der damals bekannten Planeten berechnen, sogar besser als mit dem zunächst mathematisch unfertigen Keplerschen Modell. Newton hat es dann, ja, vollendet? Nein, sein Gravitationsgesetz verbesserte noch mal die Beschreibung der Realität, es ist aber nicht die Realität selbst, an der sich immer mal wieder Schlauköpfe abmühen (Einstein, Feynman, Hawking, … )

Das Maskulinum ist weder nie noch immer generisch, das hängt vom Gebrauch ab. Auch wenn man die Macht hätte – und um diese Macht geht es ja – das generische Maskulinum in die Verbannung zu schicken, brauchte man entweder einen Ersatz, welcher dann die Diskussion aber nur verschöbe, oder seine Diversifikation in zwei, drei, viele Platzhalter, die dann für zwei, drei, viele Geschlechter stünden.

Ja, die Sprache entwickelt sich. Aber nicht so! Die Sprache nimmt Wörter auf; manche bleiben als willkommene Freunde, manche verschwinden wieder. Wer weiß denn noch, was ein »steiler Zahn« ist? Wie viele werden nie wissen, was ein «Bus» anderes sein soll als ein Verkehrsmittel (und wer kennt die Herleitung von omnibus (lat: für alle)? Und richtig: Das vielgenannte »Fräulein« ist verschwunden. Ja, warum wohl?

Und umgekehrt kann es ja sein, dass sich in fünfzig, eher hundert, Jahren eine neue Doppelpunkt-Innen-Grammatik etabliert hat: Dann steht »Lehrer:innen«, so wie lange Zeit »Lehrer« für Menschen, die vor anderen Menschen stehen und versuchen, Langeweile zu verbreiten verhindern; ihre Antagonisten sind die »Schüler:innen,« formerly known as »Schüler«. In dieser Zeit müsste auch eine Regel, wie denn das Singular zu bilden ist, existieren und allgemein anerkannt sein. Heute gibt es schon Menschen, welche die Bildung »Lehrer:in« für durchaus sinnvoll halten. Aber welcher Artikel, welches Pronomen gehört dann dazu? Dier (die/er), sieer (sie/er, beides aber wieder binär!) oder ähnliche Kunstformen werden sich nicht durchsetzen, ganz zu schweigen von diversen Kombinationen mit x, y oder weiteren nichtsprachlichen Zeichen (Asterisk, Medianpunkt etc.), welche bisher nicht als Morpheme erkennbar waren.
Jeder, wirklich jeder Vorschlag für eine «Verbesserung« der Sprache krankt an der Unkenntnis des Wirkens und Werdens der Sprache.

Dazu kommt die fehlende Abwärtskompatibilität. Die Franzosen haben die gesamten sechziger Jahre, manche wahrscheinlich noch länger, gebraucht, um sich an den neuen Franc zu gewöhnen. Man sieht das in Filmen aus dieser Zeit. Es gibt bei vermeintlich hohen Preisen ein Innehalten, dann ein Nachfragen: »Du meinst alte Francs?«
Wie soll das mit alten Texten funktionieren, mit dutzenden, hunderten Wörtern, die entschlüsselt werden müssen? Die Schüler, die Schriftsteller, die Forscher?

»Ja ja, die Juden.«
»Ja ja, die Radfahrer.«
Alles Männer?

4.Verfassungsrechtliche Anforderungen: Geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache dient der Verfassungskonformität hoheitlichen Sprachhandelns. Ihre Verwendung respektiert den personalen Achtungsanspruch aller bislang fehlerhaft oder gar nicht adressierten Rechtsunterworfenen – Frauen, Trans*, Inter* und non-binären Personen – in ihrer jeweiligen Geschlechtsidentität, welche zum Kern des Persönlichkeitsrechts aus Artikel 2 Absatz 1 i.V.m. Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz gehört. Die Benennung, Sichtbarmachung und korrekte Adressierung von Frauen ist durch das Grundrecht auf Gleichberechtigung aus Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz geboten, welches die unverzügliche Beseitigung tatsächlicher Nachteile und die Verwirklichung der Gleichberechtigung mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit auch für die Zukunft fordert. Die Verwendung geschlechterinklusiver Amts- und Rechtssprache, welche auch Trans*, Inter* und non-binäre Personen anerkennt, adressiert und sichtbar macht, entspricht den Anforderungen des Verbots der Geschlechtsdiskriminierung aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz. Das Grundrecht auf Gleichberechtigung und das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung bestehen nebeneinander und relativieren sich nicht.

Kurz gesagt: Es dient einem guten Zweck. Nur – damit ist es noch nicht rechtlich geboten. Jetzt könnte man ja scherzhaft einwerfen:
»Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, … « – jaha, jeder, aber nicht jede!

Aber das nur nebenbei. Geschlechtsidentität gehört zum Kern des Persönlichkeitsrechts, schon recht, aber wenn wir über Grundrechte reden, dann brauchen wir auch eine grundlegende Übereinkunft über die Merkmale der Persönlichkeit, die es zu schützen gilt. Wenn wir das Geschlecht als eine nahezu beliebige, frei wählbare Eigenschaft auffassen, dann sprechen wir nicht gleichzeitig von der Identität.

Darum geht es aber im GG gar nicht. Zur Entfaltung seiner Persönlichkeit kann man seine Frisur wählen, seine Kleidung, seinen Beruf, seine Hobbies. Wenn das Geschlecht in dieselbe Kategorie gehört – beliebig zu wählen, zu empfinden, ggf. zu ändern –, steht wieder die Frage, warum ausgerechnet dieses Merkmal so exponiert werden muss.

Und da haben wir sie wieder, unsere heilige Dreifaltigkeit:
»Die Benennung, Sichtbarmachung und korrekte Adressierung … «
Das wird doch durch die Wiederholung (es ist nicht die letzte!) nicht besser!

Ein beliebiges Beispiel: Die taz schreibt am 9.2.22 von »Ex­per­t:in­nen des Instituts für Kriminologie … « An anderer Stelle ist von Forscher:innen die Rede, als ob dies dasselbe wäre.
Wen benennt die Nachricht? Gute Frage, aber sie lenkt für den Moment ab. Expert:innen sind Fachleute unbekannten Geschlechts, es können Frauen oder Männer sein; die Möglichkeit, dass darunter Personen unbestimmten Geschlechts sind, ist ebenfalls gegeben. Hier ist aber nichts sichtbar gemacht. Eine Adressierung ist ebenfalls nicht erkennbar, da sich die Nachricht nicht an die Fachleute richtet, sondern über sie berichtet.
Die zugehörige Pressemitteilung erwähnt Tillmann, Deborah, Jörg (allesamt Professor Dr.; Nachnamen haben sie auch). Jörg wird von der taz verschwiegen, außerdem eines der drei beteiligten Institute.
Es geht nämlich gar nicht um die Forscher, sondern um ihren Forschungsgegenstand.

Also, was ist denn nun gewonnen? Experten können auch weiblich sein, das wussten wir schon. Dass tatsächlich eine Frau dabei ist, erfahren wir en passant durch das Nennen ihres Namens. Dann hätte man sich das :innen auch sparen können!
Und wenn Deborah, wenn sie oder doch er, nun trans ist?
Wen interessiert’s?
Dafür der ganze Aufstand?

Das Brimborium steht und fällt also mit der Anerkennung des generischen Gebrauchs des Maskulinums, insbesondere in der Mehrzahl, insbesondere bei sehr großen Gruppen. Wenn von Demonstranten die Rede ist, von Ukrainern, von Radfahrern etc., dann ist doch klar, dass die geschlechtliche Vielfalt dieselbe ist wie in der Gesamtbevölkerung. Falls es Transfrauen unter den Radfahrern gibt, dann sind diese in einer Meldung weder versteckt noch sonderlich hervorgehoben. Die Meldung bezieht sich auf Personen, die irgendwelche spezifischen Eigenschaften oder Probleme haben, sofern sie (und nur sofern sie) gerade mit dem Fahrrad unterwegs sind. Die Gefahr etwa, die von einem rechtsabbiegenden LKW ausgeht, schert sich nicht um Mann, Frau, Kind. Auch Klingoninnen oder Vulkanier wären als Radfahrer schützenswert.

»5. Verfassungsrechtliche Grenzen: [ … ]
Die Verpflichtung zur Verwendung geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache beeinträchtigt wie jede organisationsrechtliche Anweisung zum hoheitlichen Sprachgebrauch weder Meinungsfreiheit noch Persönlichkeitsrecht der amtsausübenden Personen.«
(Herv. durch die Verf.)

Per Definition, oder wie?
Es ist leicht, Personen zu finden, die beeinträchtigt werden. Aber das gilt dann wohl nicht, so wie auch Mitwirkung oder Zumutbarkeit von Amts wegen festgestellt werden.

Mir ist nicht mal ganz klar, was die Phrase Anweisung zum hoheitlichen Sprachgebrauch bedeuten soll; Freund Google findet sie nur in der hier besprochenen Arbeit von Frau Lembke. Dass nun keine diesbezügliche Anweisung dienstausübende Personen beeinträchtigen kann, ist eine gewagte These. Immerhin handelt es sich um die Idee, die geltende Rechtschreibung zu unterlaufen, der man aber als Amtsperson gleichzeitig unterworfen ist.
Noch demütigender ist, dass eine grundlegende Fähigkeit, die man schon lange und sicher beherrscht, plötzlich unter Kuratel gestellt wird.
Auch der nächste Satz unterstreicht eher den moralischen Anspruch, als dass er irgendetwas mit Rechtsnormen zu tun hätte:

»Das Ende der exklusiven Ansprache stellt auch keine (rechtlich relevante) Benachteiligung von Männern dar, sondern höchstens eine überfällige De-Privilegierung.«

Ich sag ja: Die Dame ist besessen.

Ein Privileg ist ein Kühlschrank von Quelle.
Spaß beiseite: Ein Privileg ist im engeren Sinne ein Vorrecht.

»Willst du wohl aufstehen, du ungesitteter Hanswurst? Oder willst du sitzen bleiben in Gegenwart des Königs?«

Ob dieser Störung wurde der König aufmerksam. Er streckte abwehrend die Hand aus und rief:
»Laßt ihn sitzen! Es ist sein gutes Recht.«

(Mark Twain, Prinz und Bettler)

Vor dem König sitzen bleiben – das ist ein Privileg. Im Wort steckt Lex, das Gesetz – im juristischen Sinne natürlich. Auch die Sprache folgt Gesetzen, also eigentlich eher Regelmäßigkeiten, die eben nicht verordnet werden. Die Sprache ist nicht gerecht oder ungerecht; sie ist nicht zornig oder gut gelaunt. Es sind die Nutzer der Sprache, welche etwas mitteilen. Die Informationen, die Intentionen, die Irrtümer liegen zunächst beim Sprecher, der sie – mehr oder weniger geschickt – »rüber«bringt, dann beim Hörer, bei dem das alles mehr oder weniger präzise ankommt. Missverständnisse sind unvermeidlich; man könnte gut auf sie verzichten. Andererseits sind sie das Salz der Sprache: Ohne sie gäbe es auch keine Ironie, keine Sprichwörter, keinen Jargon. Das Verständnis ist also immer die Sache beider Beteiligten – des Senders und des Empfängers.

»Einer muss sich mühen, der Autor oder der Leser«, meint Wolf Schneider, der hier an den Verfasser appelliert. Im allgemeinen müssen sich jedoch beide mühen, der Empfänger zum Beispiel bei der Übung, nicht in jedem Wort eine Diskriminierung zu vermuten. Und wenn die Absicht der Diskriminierung, der Diffamierung, der Herabsetzung oder der Entwürdigung beim Sprecher vorliegt, dann wird dieser sich alle Mühe geben, diese Absicht erkennen zu lassen, eventuell sogar gerade dadurch, dass er die korrekte Sprache benutzt, sie aber erkennbar ironisiert.

Der durchschnittliche Deutsche versteht im fünften Lebensjahr etwa zehntausend Wörter; seine Grammatik ist schon recht stabil. Das verdankt er im Wesentlichen den Frauen: Seiner Mutter, seiner Kindergarten»tante«, seiner Grundschullehrerin; weitere Tanten und Omas, Nachbarinnen, Fleischereifachverkäuferinnen prägen viel mehr sein Frauenbild und seine Sprache, als es die Männer tun. Das kann man beklagen, man kann es ändern. Aber im Moment sieht es so aus, als hätten die Frauen sich die ungegenderte Suppe selbst eingebrockt. Wer denkt, erwachsene Menschen, insbesondere Männer, dadurch zu erziehen, dass man ihre Sprache künstlich ändert, ist nicht schlauer als die indigenen Völker, die dem Cargo-Cult huldigten oder andere, die Nadeln in Puppen stecken – Sternchen, Unterstriche oder Medianpunkte in arme, unschuldige Wörter zu stecken, ist nichts anderes: Es folgt einem Aberglauben.

Es ist eine infantile Sicht, in der Sprache Ungerechtigkeit zu vermuten, die ausnahmslos jeder Frau schadet und die ausnahmslos jeden Manne begünstigt. Erst recht kindisch ist die Idee, mal den Spieß umzudrehen und nur weibliche Formen für Berufe, Amtsinhaber und Funktionsträger zu benutzen.

Man mag die Gesellschaft als ungerecht empfinden, aber erstens taugt das Wort nicht als politischer Maßstab (vgl. Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms), b) wäre das ein Grund, die Gesellschaft zu ändern und nicht die Sprache, die sie beschreibt, die Sprache folgt dann schon, wie sie jedem materiellen Fortschreiten folgt, und neuntens: Wieso sind es fast immer Damen aus den oberen zehn Prozent, welche Ungerechtigkeit beklagen?

Wenn Frau Lembke schreibt:

»In unserer Gesellschaft sind wesentliche Ressourcen wie Arbeit, Zeit und Geld, aber auch Anerkennung und Teilhabe anhand bestimmter Strukturen verteilt und eine der wesentlichsten und statistisch signifikanten Kategorien ist das Geschlecht.«

dann wirkt sie wie ein bockiges Kind, das zu sehen glaubt, wie Mutter den Pudding mit ungleicher Kelle verteilt. Wer ist denn die Übermutter »unserer Gesellschaft«, die so ungerecht Arbeit, Zeit und Geld verteilt?

Die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Klasse ist letzten Endes ausschlaggebend für die Lage, die Lebensgestaltung der Frauen und nicht ihre Gemeinschaft als Geschlecht, das zugunsten der Vormacht- und Vorrechtstellung des Mannes mehr oder minder rechtlos und unterdrückt ist. Die formale Gleichstellung des weiblichen mit dem männlichen Geschlecht in Gesetzestexten sichert in der Folge den Frauen der ausgebeuteten und unterdrückten Klasse ebensowenig tatsächliche volle soziale und menschliche Freiheit und Gleichberechtigung, wie sie solche den Männern ihrer Klasse trotz ihrer Geschlechtsgemeinschaft mit den Männern der Bourgeoisie verleiht.
(Clara Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands)

Oder anders gesagt: Was hat die gebrochen Deutsch sprechende Frau, die bei NETTO die Regale auffüllt, von der sprachlichen Aufwertung, die in Wirklichkeit erst recht herablassend ist, wenn die Obrigkeit fürderhin sie und ihresgleichen als Verkäufer*innen anspricht? Und soll sie wirklich solidarisch empfinden, wenn endlich ein paar mehr Frauen Millionengehälter als DAX-Vorstandsmitglied beziehen?
Und was fällt den Gleichstellungprofessorinnen eigentlich ein, sich gemein zu machen mit den Frauen in prekären Beschäftigungen? Sie »verdienen« in ein paar Tagen das gleiche Geld wie die Frauen, die den Laden am Laufen halten, im Monat, und sie geben sich dennoch als Opfer einer patriarchalischen Männerdiktatur!
»Frauen«, las ich neulich in einem Forum, »wollen gar nicht auf den Bau; sie wollen in die Chefetage.«
Von mir aus. Nur sollen die da oben dann die da unten nicht verhöhnen.

»6. Barrierefreiheit geschlechtergerechter Verwaltungssprache
… Wo geschlechterinklusive Kurzformen benötigt werden, damit das staatliche Sprachhandeln den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, empfehlen der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband sowie die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik inzwischen die Verwendung des Gendersterns.«

(herv. von mir)

Das ist von besonderer Infamie.
Zur Barrierefreiheit steht auf netz-barrierefrei.de (V.i.S.d.P. Domingos de Oliveira) etwas völlig anderes:

»Man kann die Ansicht vertreten, dass gendergerechte Sprache wichtiger ist als Barrierefreiheit. Oder das die paar Barrieren nicht relevant seien. Das kann legitim sein. Aber das Gendern zumindest in den bisher gängigen Varianten barrierefrei sein kann, ist falsch. Dazu benötigen wir keinen empirischen Beweis. Durch alle aktuell diskutierten Varianten wird entweder die Zeichenmenge erhöht, ohne den Informationsgehalt zu vergrößern. Oder es werden Sonderzeichen eingefügt, welche die Lesbarkeit bzw. Erkennbarkeit von Wörtern verschlechtern – oder beides. Insofern möchte ich auch ausdrücklich den Aussagen der Überwachungsstelle für Barrierefreiheit des Bundes widersprechen. Schon die Überschrift „Empfehlung zu gendergerechter, digital barrierefreier Sprache“ ist ein Widerspruch in sich. Es ist so, als ob ich eine Empfehlung für eine barrierefreie Treppe gebe.«
(https://www.netz-barrierefrei.de/wordpress/barrierefreies-internet/barrierefreie-redaktion/texte/gender-gerechte-sprache-und-barrierefreiheit/

(»das» vor »Gendern« ist als Konjunktion gebraucht, ist also falsch geschrieben. Das ist kein Beinbruch, aber es zeigt, dass speech-to-text ohnehin schon Hürden aufbaut.)

Man muss es so sagen: Frau Lembke lügt regelrecht. Wenn man Google nach »gendern barrierefrei« suchen lässt, werden im Wesentlichen Seiten gefunden, die auf diesen Widerspruch hinweisen. Selbst auf genderleicht.de findet man Hinweise dazu; der Schluss für die Autorin Anna E. Poth sieht allerdings nicht so aus, dann auf Gendern durch Sonderzeichen zu verzichten, sondern von den schlechtesten Lösungen die am wenigsten schlechte zu wählen. Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) sieht es ähnlich:

»Gendern durch Sonderzeichen und Typografie,

Beispiele:Mitarbeiter_innen
Mitarbeiter/-innen
MitarbeiterInnen
Mitarbeiter*innen
Mitarbeiter:innen

ist nicht zu empfehlen.«

NICHT!

Der DBSV empfiehlt neutrale Lösungen (Team), bei längeren Texten vorangestellte Erklärungen.
Außerdem folgende Notlösung:

»Falls jedoch mit Kurzformen gegendert werden soll, empfiehlt der DBSV, das Sternchen zu verwenden, weil es laut Veröffentlichungen des Deutschen Rechtschreibrates die am häufigsten verwendete Kurzform ist und so dem Wunsch nach einem Konsenszeichen am nächsten kommt.«

Das ominöse »staatliche Sprachhandeln« findet sich nicht, auch nicht implizit. Übrigens auch sonst nirgends im weiten Googlerund, außer im Zusammenhang mit Lembkes Gutachten.

7. Rechtschreibregeln

Der Rat für deutsche Rechtschreibung (RdR) ist nach eigener Auskunft »die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung«. Die Frage, mit welcher Legitimation der RdR handelt, können wir überspringen, denn nach Ulrike Lembke ist es eh ein inkompetenter Haufen, und wenn sie es sagt – nein, weil sie es sagt, stimmt es auch. Basta!

»Seine aus rechtlicher Sicht anhand einer willkürlichen Auswahl von Texten vorgenommenen Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind für die Fragen geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache daher unbrauchbar. Das „amtliche Regelwerk“ verhält sich derzeit nicht zum verfassungskonformen hoheitlichen Sprachgebrauch.«

Ich frage mich erneut, ob jemand Korrektur gelesen hat. »rechtliche Sicht« ist wohl etwas verrutscht bzw. überflüssig; das »verhält« verhallt ohne Echo.
Aber das nur nebenbei. Denn Frau Lembke läuft, das fremde Portemonnaie in der Tasche, herum und ruft:
»Haltet den Dieb!«

»Das Korpus, das aktuell für die Ratsarbeit genutzt wird, […] kann mit einem Umfang von rd. 12,5 Milliarden Wortbelegen zuverlässige Aussagen über Stand und Entwicklung des aktuellen Schreibgebrauchs machen.«
(Sabine Krome, Sprachreport, Jg 38 (2022)

Ja, das glaube ich auch. Ich vermute, dass hier technische Hilfe im Spiel ist – wie soll man dabei eine »willkürliche Auswahl« treffen?
Es wird wohl andersherum sein: Das exzessive Gendern, ungeachtet der Rechtschreibung, Logik, Ästhetik, ungeachtet der entstehenden Ungenauigkeiten und Mehrdeutigkeiten, ungeachtet jeglicher Vorbehalte und Gegenargumente, ändert natürlich die Textkorpora, die wiederum vornehmlich von den Multiplikatoren (Behörden, Hochschulen, Medien und politische Parteien) gefüttert werden. So schafft man Tatsachen, auf die man dann verweisen möchte.

Bis dahin übt man, in Kenntnis der Ungleichheit der Waffen, mit Hilfe pseudomoralischer, pseudowissenschaftlicher, pseudodemokratischer, pseudojuristischer Einlassungen Druck aus.

»8.Möglichkeiten, Formen und Vorteile geschlechtergerechter Verwaltungssprache

Die Verwendung verschiedener Formulierungsmöglichkeiten zur Ablösung des pseudo-generischen Maskulinums trägt auch zur Klarheit, Verständlichkeit und insgesamt inklusiven Wirkung von Verwaltungssprache bei

Nein.

Fortsetzung – und Schluss – folgt.

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