Tutte le strade …

Alle Wege führen nach Rom, aber vorher werden sie noch ein paar Mal umbenannt.

Die Mohrenstraße hat ihre Schuldigkeit getan.
Karl Marx – Spitzname Mohr – wohnte kurz hier, deswegen heißt sie so.

Nein, das ist Quatsch. So genau weiß man es nicht, aber es scheint, man wollte seinerzeit damaliger Umsiedler gedenken und dazu sind Straßennamen auch da: Zum Gedenken.
Manchmal ändern sich die Umstände und das Gedenken. So heißt die Reinhold-Huhn-Straße nun lange wieder Schützenstraße. Der Schütze Rudolf Müller wurde 37 Jahre nach seiner Tat wegen Totschlags (1999, Landgericht Berlin), noch etwas später wegen Mordes (2000, Bundesgerichtshof) an Reinhold Huhn verurteilt; die noch höhere Instanz Springerverlag spricht auch 2017 noch von Notwehr. Meinungsfreiheit eben.

Aber das nur nebenbei.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass es wieder nur um Worte geht. Die junge Welt schreibt heute (22.08.2020) von einem antifaschistischen Stück, dass nicht aufgeführt werden kann, weil „die vorbildlich antirassistisch engagierten Laiendarsteller [sich weigerten], dieses Wort auf der Bühne auszusprechen. Aber wie soll das gehen? »Kommt, Kameraden, lasst uns einen farbigen Mitbürger mit Migrationshintergrund klatschen«?“

Schreibt es hinter eure Ohren: Man sagt nicht Neger oder Mohren.
Nie.
Auch nicht als Zitat, auch nicht in einem Stück, das böse Menschen und dahinter stehende Mächte entlarven will.

Helmut Baierl erzählt (Die Köpfe oder Das noch kleinere Organon), wie Helene Weigel einen Schauspieler kritisiert. Der hatte als Arbeiter oder Matrose dazusitzen und etwas in den Wirtshaustisch zu schnitzen. Das machte er gut, aber, so die Prinzipalin, das Wort, welches er geschnitzt hatte, schreibe man mit F.
Ich schreib’s gar nicht. Das ist doch ein Ausdruck. So sagten wir als Kinder. So etwas sagt man nicht. Und wenn doch, als Provokation, oder, wenn gewünscht, als Beleidigung. Dass es auch, sozusagen ganz wertfrei, etwas bezeichnen kann, ist gar nicht möglich (wenn man nicht gerade in Bayern wohnt).

Beim Mohren ging das mal, und bei allem, was danach kommt, geht es nicht mehr. Es hat immer einen Beigeschmack.

„Sach mal, ist das nicht Akono dahinten?“
„Wo, wen meinst du denn?“
„Na da, der
POC.“

Das ist jetzt besser?

Der Bayerische Rundfunk dreht eine Reportage zum Thema Rassismus (wieso eigentlich in Berlin?) und was dabei herauskommt, ist keine Ohrfeige ins Gesicht der Rassismusopfer; es ist ein kolossaler Arschtritt (Wo versteckt sich Rassismus? Eine PULS Reportage).
Ariane Alter soll wohl das blonde Dummchen spielen und das macht sie prima.
„Man, ich will das so feministisch wie möglich machen!“ – WARUM?
Sie bekommt von Coachin (haben die wirklich Coachin gesagt? Der Coach, die Coachin?) Josephine, Nachname ist vorerst nicht nötig) drei Aufgaben:
Zuerst: Nenne drei Wissenschaftlerinnen – nein, die haben WissenschaftlerInnen gesagt, das hört man als untrainierter Kerl nicht gleich.

„Madame Curie!“
„Isaac Newton, so viele Frauen fallen mir auch nicht ein, der ist auch ziemlich weiß.“
„Dann nehme ich noch, na egal, Herr Drosten.“


Sehr peinlich. Schnitt. Das senden wir nicht.
Doch. Das senden wir. Wir zeigen noch, wie sich Frau Alter blamiert bei der Aufgabe, drei schwarze Wissenschaftlerinnen zu finden und diesbezügliche Publikationen, die man – zufällig in der Berliner Stadtbibliothek – finden soll.
Und noch ein bisschen. Frau Josephine Apraku – den vollständigen Namen bekommt man irgendwann eingeblendet – erklärt uns mit derselben klinischen Distanz, mit der sie den Gebrauch eines Kondoms erklären würde, die verschiedenen Arten des Rassismus (individuell, strukturell und institutionell). Wo das herkommt, dass es eventuell etwas anderes ist als ein Charakterfehler, erfährt man so auf die Schnelle nicht.
Ich habe dann abgeschaltet, obwohl ich mir fest vorgenommen habe, die achtzehn Minuten durchzuhalten.

Das Kunstwerk findet man auch auf Youtube, obwohl einige Kommentatoren fordern, es sofort zu löschen.
Man findet unter den Kommentaren erstaunlich oft die Empörung, dass dafür „unser Geld“ ausgegeben wird, was ich kleinlich finde. Mein Bedürfnis ist ein anderes als deines, und dafür, dass möglichst jeder was zu hören und zu sehen bekommt, werfen wir unser Geld in einen Topf.
Mein Gott, im Garten gieße ich doch auch jeden Obstbaum, obwohl am Ende nicht jeder trägt.
Dann gibt es einige Schläge gegen links. Das finde ich ungerecht, denn die Reportage ist nicht links, sondern dumm. Wenn links angegriffen wird, müsste ich es verteidigen, aber das kann ich nicht, und schon wieder haben die Rechten gewonnen. Rassistische Kommentare findet man nicht. Alle gelöscht, mag sein. Der Rest ist maßlos enttäuscht von dem völlig vergeigten Versuch, etwas Gutes zu tun.

***


Der Rassismus hat seine Geschichte und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Inwiefern die Geschichte des Anton Wilhelm Amo, der nun neuer Namenspatron der umzubenennenden Straße wird, hilfreich ist, sei dahingestellt.

Ich muss nicht immer an Baumwollplantagen oder die Tigerkäfige in Phu Quoc denken, nicht an Vertreibung, Verstümmelung, Vernichtung, nicht an Kolonialismus und Neokolonialismus, wenn ich Menschen sehe, die „irgendwie nicht von hier“ sind. Nicht mehr. Gemeinsame Arbeit, gemeinsames Lernen, gemeinsames Wohnen wirken Wunder. Auf einmal sind es Namen und nicht ethnische Besonderheiten; es gibt Eigenarten, die seltsam vertraut sind: Schussligkeiten, kleine und manchmal große Gemeinheiten, Eitelkeit, Borniertheit, schlechter Musikgeschmack, fragwürdiger Kleidungsstil …

Wer Angst hat, aus Versehen rassistisch zu agieren, muss mit Absicht etwas dagegen tun. Aber nichts Plakatives (Mein Freund ist Ausländer – was für ein Quatsch!).

Sondern:

  1. Hör auf mit dem Geduze! Wer in einer Willkommensklasse sitzt, kann zunächst nicht besser Deutsch als der nächstbeste Hellersdorfer Hauptschüler. Aber in seinem Vaterland, in ihrer Muttersprache hat er/sie vielleicht Häuser gebaut oder selbst unterrichtet. Und auch, wer nicht viel mehr geschafft hat, als fünfundzwanzig zu werden, hat Respekt verdient.
  2. Merk dir die Namen! Sage zu Евгений nicht Eugen, zu Herrn Przybilski nicht Pritzibilski, zu Ayşe nicht Eiche.
  3. Lern hallo, bitte, danke, eins, zwei, drei auf Russisch, Persisch,
    Kurdisch … je nachdem.
  4. Schnauz Zeynep an, wenn sie ihre Arbeit nicht macht. Aber frag sie nicht, ob man in ihrer Heimat so „arbeitet“. Sag Arschloch zu deinem syrischen Nachbarn, wenn du auch mit deinem deutschen Nachbarn so sprichst. Frag höflich nach Salz, wenn du es bei deinem deutschen Nachbarn auch tun würdest.
  5. Wer gerade seine Familie verloren hat, braucht Trost. Aber vielleicht nicht gerade von dir.
  6. Verzichte auf jegliche Bezeichnung, die ohne Not äußere Besonderheiten benennt. Sage nicht, natürlich nicht! Neger, Mulatte, Mischling, aber auch nicht Schwarze(r), PoC, BPoC, BIPoC – wozu auch? Er/Sie/Es hat einen Namen!
    Wenn drei Damen aus Ghana, Laos und Schweden unterwegs sind, und man weiß, welche die Mörderin ist, aber nicht, wie sie heißt, dann, ja dann kann man darauf zurückgreifen, sowie man ja auch blond, dunkeläugig, schlank usw. sagen darf. Und dann sagt man nicht Ping Pang Pung, sondern: Die gesuchte Person sieht skandinavisch aus oder afrikanisch oder asiatisch. Denn das tut sie, auch wenn sie seit dreißig Jahren in Castrop-Rauxel oder Merseburg wohnt.

Dass der Rassismus nur Spielart einer viel größeren Maschinerie ist, steht auf einem andern Blatt. Wenn ich es vollgeschrieben habe, jedenfalls. Und es muss ein sehr großes Blatt sein.


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