Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
(Heinrich Heine, Deutschland, ein Wintermärchen)
Es war ja nicht alles schlecht an der Wende.
Sie sorgte auch für Heiterkeit, und das konnten wir brauchen.
Ich war bei einem ehemaligen Kommilitonen zu einer Wiedersehensfeier mit anderen ehemaligen Kommilitonen und kurz zuvor war Karl Moik in Cottbus.
„Wer hätte das gedacht … Wahnsinn!“
Wir sprachen auch so, nicht weil jemand den Stadl gesehen hätte, sondern weil sich der Scheibenwischer (grandios: Dieter Hildebrandt und Richard Rogler!) ebenfalls herrlich darüber lustig gemacht hatte.
Ich fing übrigens an:
„Wer hätte das vor kurzem noch gedacht, dass man sich mal ein bisschen verfährt und gleich im Westen landet?“
Alle im Chor: „WAHNSINN!“
Mir war es tatsächlich passiert, dass ich mit meinem roten Trabanten die Wollankstraße von Nordost nach Südwest (Betonung liegt auf West) fuhr und diese nicht mehr ordnungsgemäß kurz nach der Florastraße endete. Keine Spur, kein Krümelchen der Grenzanlage, aber die Straße wurde besser, die Trabantendichte nahm abrupt ab und die Geschäfte sahen anders aus. Vor allem gab es welche. Wahnsinn!
Noch so ein Dönneken?
Wir hatten eine Westverwandte, die Cousine meines Vaters. Die wohnte in Rudow und nun konnte man die ja besuchen. Mein Vater leider nicht mehr, aber ich peeste hin.
Aus irgendeinem Grunde parkte ich nicht direkt vor ihrer Haustür (kein Parkplatz?), sondern in der Nähe. Ich vergaß sofort den Straßennamen, aber in Fahrtrichtung war eine Kreuzung in Sichtnähe, und an der Kreuzung war ein Supermarkt. Konnte man doch gar nicht verfehlen.
Nach dem Besuch war ich dann überrascht, wie viele Kreuzungen mit Supermarkt es in Rudow und Umgebung gab. Die meisten ohne Trabant in Sichtnähe. Es war auch schon dunkel und ich begann leise zu weinen.
Noch so ein Dönneken?
Mein Bruder (der Erfinder von Microsoft, Apple und des WWW, siehe https://neuleerer.wordpress.com/2020/09/07/neuland-unterm-pflug/) hatte keine Zeit mitzukommen, hatte aber Zeit, einer weitläufig Bekannten das Bad zu fliesen. Die Fliesen waren vorhanden, aber es fehlte an etwas, das ich nicht kannte und auch vermutlich nie vermisst hätte. Aber ich sollte es besorgen.
„Tach, ick hätte jern Fliesenkreuze.“
„Na, welche Größe denn?“
Die haben im Westen etwas, das wir nicht haben, und dann auch noch in verschiedener Größe? Potzblitz!
„Na, die mittleren.“
Pause.
„3 mm?“
„Äh. Genau.“
„Wieviel brauchste denn?“
Pause.
Noch so ein Dönneken?
Na ja, ich könnte noch erzählen, wie ich das erste Mal im Supermarkt war und versucht habe, den Einkaufswagen durch das Drehkreuz zu dremmeln.
Ach was, wir haben uns als Ossi gehörig blamiert, mit Harmlosem und mit finanziellen Verlusten, weil wir unbedingt sofort(!) einen Westwagen brauchten und eine Bausparversicherung und eine Lebensversicherung und eine Versicherung zur Absicherung der Beträge zur Lebensversicherung und noch eine für irgendwas – ich habe tatsächlich vier Versicherungen an einem einzigen unglückseligen Tag des Jahres 1990 abgeschlossen.
Dafür bin ich verschiedentlich als Wessi durchgegangen, sogar schon vor der Wende. Unter den Linden gab es einen Laden, Kunst und Buch oder so hieß er, es gab jedenfalls beides. Ich war damals sehr verwegen gekleidet, das war es wohl, denn die Dame an der Kasse meinte zu mir hoffnungsfroh:
„Sie können auch in Ihrer Währung zahlen.“
Und dann wurde es meine Währung.
Und es wurde mein Land, und irgendwie auch nicht, mein altes verschwand und mein Thema sollte sich eigentlich der Einheit widmen und wieso ich Schwierigkeiten mit dem Begriff habe, aber – andermal, denn …
die Augen begunnen zu tropfen …
***
Die Göttin hat mir Tee gekocht
Und Rum hineingegossen;
Sie selber aber hat den Rum
Ganz ohne Tee genossen.
(Heinrich Heine, Deutschland, ein Wintermärchen)
Der Laden Unter den Linden hieß Kunstsalon. Großartiges Angebot. Schräg gegenüber gab es noch einen Salon mit Kunst, da fällt mir der Name grad nicht ein und noch ein Stückchen weiter wieder schräg gegenüber war die Universitätsbuchhandlung. Alles auf dem Stück zwischen Friedrichstraße und Brandenburger Tor.