Tutte le strade …

Alle Wege führen nach Rom, aber vorher werden sie noch ein paar Mal umbenannt.

Die Mohrenstraße hat ihre Schuldigkeit getan.
Karl Marx – Spitzname Mohr – wohnte kurz hier, deswegen heißt sie so.

Nein, das ist Quatsch. So genau weiß man es nicht, aber es scheint, man wollte seinerzeit damaliger Umsiedler gedenken und dazu sind Straßennamen auch da: Zum Gedenken.
Manchmal ändern sich die Umstände und das Gedenken. So heißt die Reinhold-Huhn-Straße nun lange wieder Schützenstraße. Der Schütze Rudolf Müller wurde 37 Jahre nach seiner Tat wegen Totschlags (1999, Landgericht Berlin), noch etwas später wegen Mordes (2000, Bundesgerichtshof) an Reinhold Huhn verurteilt; die noch höhere Instanz Springerverlag spricht auch 2017 noch von Notwehr. Meinungsfreiheit eben.

Aber das nur nebenbei.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass es wieder nur um Worte geht. Die junge Welt schreibt heute (22.08.2020) von einem antifaschistischen Stück, dass nicht aufgeführt werden kann, weil „die vorbildlich antirassistisch engagierten Laiendarsteller [sich weigerten], dieses Wort auf der Bühne auszusprechen. Aber wie soll das gehen? »Kommt, Kameraden, lasst uns einen farbigen Mitbürger mit Migrationshintergrund klatschen«?“

Schreibt es hinter eure Ohren: Man sagt nicht Neger oder Mohren.
Nie.
Auch nicht als Zitat, auch nicht in einem Stück, das böse Menschen und dahinter stehende Mächte entlarven will.

Helmut Baierl erzählt (Die Köpfe oder Das noch kleinere Organon), wie Helene Weigel einen Schauspieler kritisiert. Der hatte als Arbeiter oder Matrose dazusitzen und etwas in den Wirtshaustisch zu schnitzen. Das machte er gut, aber, so die Prinzipalin, das Wort, welches er geschnitzt hatte, schreibe man mit F.
Ich schreib’s gar nicht. Das ist doch ein Ausdruck. So sagten wir als Kinder. So etwas sagt man nicht. Und wenn doch, als Provokation, oder, wenn gewünscht, als Beleidigung. Dass es auch, sozusagen ganz wertfrei, etwas bezeichnen kann, ist gar nicht möglich (wenn man nicht gerade in Bayern wohnt).

Beim Mohren ging das mal, und bei allem, was danach kommt, geht es nicht mehr. Es hat immer einen Beigeschmack.

„Sach mal, ist das nicht Akono dahinten?“
„Wo, wen meinst du denn?“
„Na da, der
POC.“

Das ist jetzt besser?

Der Bayerische Rundfunk dreht eine Reportage zum Thema Rassismus (wieso eigentlich in Berlin?) und was dabei herauskommt, ist keine Ohrfeige ins Gesicht der Rassismusopfer; es ist ein kolossaler Arschtritt (Wo versteckt sich Rassismus? Eine PULS Reportage).
Ariane Alter soll wohl das blonde Dummchen spielen und das macht sie prima.
„Man, ich will das so feministisch wie möglich machen!“ – WARUM?
Sie bekommt von Coachin (haben die wirklich Coachin gesagt? Der Coach, die Coachin?) Josephine, Nachname ist vorerst nicht nötig) drei Aufgaben:
Zuerst: Nenne drei Wissenschaftlerinnen – nein, die haben WissenschaftlerInnen gesagt, das hört man als untrainierter Kerl nicht gleich.

„Madame Curie!“
„Isaac Newton, so viele Frauen fallen mir auch nicht ein, der ist auch ziemlich weiß.“
„Dann nehme ich noch, na egal, Herr Drosten.“


Sehr peinlich. Schnitt. Das senden wir nicht.
Doch. Das senden wir. Wir zeigen noch, wie sich Frau Alter blamiert bei der Aufgabe, drei schwarze Wissenschaftlerinnen zu finden und diesbezügliche Publikationen, die man – zufällig in der Berliner Stadtbibliothek – finden soll.
Und noch ein bisschen. Frau Josephine Apraku – den vollständigen Namen bekommt man irgendwann eingeblendet – erklärt uns mit derselben klinischen Distanz, mit der sie den Gebrauch eines Kondoms erklären würde, die verschiedenen Arten des Rassismus (individuell, strukturell und institutionell). Wo das herkommt, dass es eventuell etwas anderes ist als ein Charakterfehler, erfährt man so auf die Schnelle nicht.
Ich habe dann abgeschaltet, obwohl ich mir fest vorgenommen habe, die achtzehn Minuten durchzuhalten.

Das Kunstwerk findet man auch auf Youtube, obwohl einige Kommentatoren fordern, es sofort zu löschen.
Man findet unter den Kommentaren erstaunlich oft die Empörung, dass dafür „unser Geld“ ausgegeben wird, was ich kleinlich finde. Mein Bedürfnis ist ein anderes als deines, und dafür, dass möglichst jeder was zu hören und zu sehen bekommt, werfen wir unser Geld in einen Topf.
Mein Gott, im Garten gieße ich doch auch jeden Obstbaum, obwohl am Ende nicht jeder trägt.
Dann gibt es einige Schläge gegen links. Das finde ich ungerecht, denn die Reportage ist nicht links, sondern dumm. Wenn links angegriffen wird, müsste ich es verteidigen, aber das kann ich nicht, und schon wieder haben die Rechten gewonnen. Rassistische Kommentare findet man nicht. Alle gelöscht, mag sein. Der Rest ist maßlos enttäuscht von dem völlig vergeigten Versuch, etwas Gutes zu tun.

***


Der Rassismus hat seine Geschichte und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Inwiefern die Geschichte des Anton Wilhelm Amo, der nun neuer Namenspatron der umzubenennenden Straße wird, hilfreich ist, sei dahingestellt.

Ich muss nicht immer an Baumwollplantagen oder die Tigerkäfige in Phu Quoc denken, nicht an Vertreibung, Verstümmelung, Vernichtung, nicht an Kolonialismus und Neokolonialismus, wenn ich Menschen sehe, die „irgendwie nicht von hier“ sind. Nicht mehr. Gemeinsame Arbeit, gemeinsames Lernen, gemeinsames Wohnen wirken Wunder. Auf einmal sind es Namen und nicht ethnische Besonderheiten; es gibt Eigenarten, die seltsam vertraut sind: Schussligkeiten, kleine und manchmal große Gemeinheiten, Eitelkeit, Borniertheit, schlechter Musikgeschmack, fragwürdiger Kleidungsstil …

Wer Angst hat, aus Versehen rassistisch zu agieren, muss mit Absicht etwas dagegen tun. Aber nichts Plakatives (Mein Freund ist Ausländer – was für ein Quatsch!).

Sondern:

  1. Hör auf mit dem Geduze! Wer in einer Willkommensklasse sitzt, kann zunächst nicht besser Deutsch als der nächstbeste Hellersdorfer Hauptschüler. Aber in seinem Vaterland, in ihrer Muttersprache hat er/sie vielleicht Häuser gebaut oder selbst unterrichtet. Und auch, wer nicht viel mehr geschafft hat, als fünfundzwanzig zu werden, hat Respekt verdient.
  2. Merk dir die Namen! Sage zu Евгений nicht Eugen, zu Herrn Przybilski nicht Pritzibilski, zu Ayşe nicht Eiche.
  3. Lern hallo, bitte, danke, eins, zwei, drei auf Russisch, Persisch,
    Kurdisch … je nachdem.
  4. Schnauz Zeynep an, wenn sie ihre Arbeit nicht macht. Aber frag sie nicht, ob man in ihrer Heimat so „arbeitet“. Sag Arschloch zu deinem syrischen Nachbarn, wenn du auch mit deinem deutschen Nachbarn so sprichst. Frag höflich nach Salz, wenn du es bei deinem deutschen Nachbarn auch tun würdest.
  5. Wer gerade seine Familie verloren hat, braucht Trost. Aber vielleicht nicht gerade von dir.
  6. Verzichte auf jegliche Bezeichnung, die ohne Not äußere Besonderheiten benennt. Sage nicht, natürlich nicht! Neger, Mulatte, Mischling, aber auch nicht Schwarze(r), PoC, BPoC, BIPoC – wozu auch? Er/Sie/Es hat einen Namen!
    Wenn drei Damen aus Ghana, Laos und Schweden unterwegs sind, und man weiß, welche die Mörderin ist, aber nicht, wie sie heißt, dann, ja dann kann man darauf zurückgreifen, sowie man ja auch blond, dunkeläugig, schlank usw. sagen darf. Und dann sagt man nicht Ping Pang Pung, sondern: Die gesuchte Person sieht skandinavisch aus oder afrikanisch oder asiatisch. Denn das tut sie, auch wenn sie seit dreißig Jahren in Castrop-Rauxel oder Merseburg wohnt.

Dass der Rassismus nur Spielart einer viel größeren Maschinerie ist, steht auf einem andern Blatt. Wenn ich es vollgeschrieben habe, jedenfalls. Und es muss ein sehr großes Blatt sein.


Dr. Guttenberg, Klappe, die zwote

„Ich glaube es ist nicht Talentlosigkeit, was die meisten deutschen Gelehrten davon abhält, über Religion und Philosophie sich populär auszusprechen. Ich glaube, es ist Scheu vor den Resultaten ihres eigenen Denkens, die sie nicht wagen dem Volke mitzuteilen. Ich, ich habe nicht diese Scheu, denn ich bin kein Gelehrter, ich selber bin Volk.“
(Heinrich Heine)

Wir waren bei nummerierten Dummheiten und dazu zweierlei:

Wieso, schrieb ich schon mal an anderer Stelle, ist man immer so überrascht, wenn’s im Winter schneit? Damals ging es um die Planung in Brandenburger Oberschulen und um Schüler, die aus unbekannten Storchennestern und in unbekannter Zahl plötzlich und unerwartet und zwölf- oder dreizehnjährig auf die Schreibtische der Schulämter knallten. So kann man doch nicht planen, ging die Klage, und ich postpreußisches Dummerchen meinte, dass es doch einigermaßen absehbar gewesen wäre, dass eines Tages soundsoviel Grundschulabsolventen an die Tore der weiterführenden Schulen hämmern werden.
(Heute, am 3. September 2020, erzählt mir mein Radio, dass in Brandenburg 4000 Schüler mehr beschult werden müssen, als man erwartet hat. Wie konnte das denn passieren?)

Schade, dass der Bildungsminister nicht mehr so heißt, denn den Scherz mit dem Knecht Rupprecht hätte ich gern recyclet.

Das macht aber nichts, denn die Welt ist ein Dorf, und Kalau ist überall.

***

Nicht nur, dass ich gar nicht so schlau bin, es nervt mich, dass irgendjemand so unschlau sein kann, nicht zu wissen, dass, wenn man Menschen, die gewohnheitsmäßig im Urlaub betrunken mit fremden Menschen knutschen, genau dorthin schickt, wo sie es gewohnheitsmäßig tun, es also wieder tun werden, la señorita Corona mit an Bord ist auf der Rückreise vom Balneario Nº 6.
¡Che sorpresa!

***

Früher gab es Willi Wuschkes Wortschatzkammer, heute habe ich einen Schutzpatron; der heißt Enrico Boschetti und redet zu mir im Schlaf.

„Du redest im Schlaf“, sage ich. „Mach die Augen auf, wenn du mit mir sprichts, du Penner.“
„Du sprichst ungebührlich, mein Guter. Außerdem wolltest doch du etwas von mir.“
„Stimmt“, sage ich. „Ich überlege, ob es unredlich ist, sich über den Gebrauch abgenutzter Phrasen lustig zu machen, wie ich es in meiner Lisa-Eckhart-Kolumne tat.“
„Nein“, sagt Enrico, „es ist nur hochmüthig“
„Da ist aber ein ‚h‘ zu viel“, entgegne ich.
„Das höhrt man doch nicht. Außerdem bin ich länger tot als Konrad Duden.
Jedenfalls: Die Sprache lebt.“
„Ist das lebendig, wenn man dreißig Jahre lang zum Bleistift am Teflon tschüssikowski sagt?“
„Nein“, sagt Enrico. „Ich meinte nicht lebendige Sprache, sondern lebende Sprache, das ist etwas andreas. Oh, Verzweiflung! Es ist ansteckend.“

„Ja. Und peinlich, wenn ein Kollege aus der Süddeutschen seinen Kollegen beschreibt, der dies (Glühstrumpf, kann ja Eiter werden …) gefühlte 137 Mal am Tag tut. Was für eine Pest, dieses gefühlt! Wie fühlt man sich denn da?“
„Überlegen. Aber lass es dir nicht anmerken. Schreib, so gut du kannst. Und ab und zu ein Scherzkeks auf den Lippen …“

„Jetzt ist es aber genug, Herr von Schnabelewopski. Du kannst dich verabscheuen. Mir platzt gleich der Schlepptop“

Herr Boschetti verdunstet im Nebel, und ich höre ihn noch mal kichern:
„Tschüssikowski!“

Was für ein Alptraum!


P.S. Jetzt habe ich Herrn von und zu Dingens vergessen. Ja, was solls.
Sein aufrechter und inzwischen leider schon verstorbener Vater, der mit seinen dreizehn Vornamen auch einen ziemlich breiten Perso brauchte, wird gesagt haben: So, jetzt ist es aber Enoch! Mach deinen Dokter, sonst gibt es keinen Nachtisch!

„Als ob Sie Besseres zu tun hätten“

»Ja«, sagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zusammenfaltete, »die ist uns über.«
(Theodor Fontane, Effi Briest)

Wir waren bei schlechtem Stil. Also ich jedenfalls.

Fangen wir an:
Gerhart Polt tut es, Rolf Miller tut es, Georg Schramm tut es. (1)
Heinz Becker und Herbert Knebel sind so überzeugend, dass die Namen ihrer geistigen Väter, die ihre Figuren sprechen lassen, längst nicht so geläufig sind wie die ihrer Geschöpfe.
Richling und Dittsche lassen wir mal außen vor (2), denn dazu hat sich Titanics Humorkritik schon ausgelassen und besser als Hans Menz kann ich es auch nicht.
Damit reißen sie den kritisierten Personen die Maske vom Gesicht (3), entstellen die Verhältnisse zur Kenntlichkeit (4) und halten ihrem Publikum den Spiegel vor. (5)
Dann lege ich mal den Finger in eine ganz andere Wunde. (6)

Jetzt reicht es aber. Sonst trudeln noch die Gäste ein, welche natürlich gute Laune mitgebracht haben, weil sie wissen, dass fürs leibliche Wohl gesorgt ist. Kaum zu glauben aber wahr, auch die dümmsten Phrasen werden hundert Jahr …

… und ja, manchmal fällt einem nix besseres ein auf der Datenautobahn nachts um halb eins. Dann sollte man sich noch mal hinlegen.

Wir waren bei Lisa Eckhart. Also ein bisschen, und nun bläst mir das Möchtegern-Feuilleton (7) – ich wollte das doch lassen! – webpunktde (ja, die richtigen Zeitungen haben das Thema auch schon, aber die kommen mir nicht vor dem ersten Kaffee ins Blickfeld) einen Sturm ins Urinal.

Frau Eckhart darf nicht beim Harbourfront Literaturfestival in Hamburg auftreten, wegen Feigheit vor dem Nachbarn. Der (inwieweit hier Antifa oder links zutrifft, steht in einem ganz anderen Witzblatt) unterstellt hier angeblich antisemitische Klischees und erlaubt sich angeblich, darauf hinzuweisen, dass man ja die Veranstaltung verunstalten könnte.
Der größere Skandal ist jedoch, dass man dann nicht einfach einen Wachmann vor die Tür stellt, sondern die zu erwartende Steinigung der Oberhexe als Stein des Anstoßes nimmt, um nicht etwa die ungebeten Gäste, sondern den geladenen Gast auszuladen.

Ach, du lieber Gott (egal, welcher)!
Die Juden sind ein Volk des Buches. Das gefällt mir. Ich bin auch ein Volk des Buches.
Götz Aly (Warum die Deutschen? Warum die Juden?) führt einen beträchtlichen Teil der Judenfeindlichkeit auf blanken Neid zurück. Neid auf den kulturellen und wirtschaftlichen Erfolg, der ja jedem freistünde, der sich ähnlich eifrig in die Bildung stürzte. Aly führt Statistiken an, die belegen, wie überdurchschnittlich beispielsweise die Gymnasien von Juden besucht wurden.
Bessere Bildung, bessere Chancen, besseres Geld.
Sollte mich wundern, wenn Lisa Eckhart, die vier Sprachen spricht und ihren Hegel garantiert nicht nur zusammenwikigoogelt, dieser Aspekt nicht auch faszinieren würde. Eine der klügsten – und nebenbei auch jüngsten, was Erwartungen weckt – Frauen des deutschsprachigen Kabaretts hat antisemitische Vorurteile?

„Jetzt plötzlich kommt heraus, den Juden geht’s wirklich nicht ums Geld. Denen geht’s um die Weiber, und deswegen brauchen sie das Geld.“
(Lisa Eckhart zit. nach Berliner Zeitung)


Das Klischee ist eventuell antisemitisch, Frau Eckhart nicht. Schon gar nicht bedient sie Klischees. Es geht um Macht. Macht durch Geld und umgekehrt. Wer das Geld hat, kriegt „die Weiber“. The winner takes it all. Hier hat sich Harvey Weinstein offenbar geirrt, und ob er zurecht verurteilt wurde, wird hier nicht verhandelt, er wurde jedenfalls nicht verurteilt, weil er Jude ist.

Was macht denn der Antisemit, der hier angeblich von Frau Eckhart so gut bedient wird? Sagt er sich: Der Mann nähert sich den Frauen auf unsittliche Weise und das verurteilen wir? Oder sagt er: Der Mann hat sich die Mittel, die ihm die Inbesitznahme weiblicher Gunst erleichtert, unredlich verschafft, und diese Mittel hätten wir auch gern?

Also: Ist der Mann das Schwein? (Auflösung: Nein!)
Oder ist der Jude das Schwein? (Auflösung: Nein!)

Lisa Eckhart wirbelt uns gehörig durcheinander. Auf dem Platz bleiben Verwirrte, Verletzte und Verwunderte. Das mag Eckharts Kalkül sein, ihre Schuld ist es nicht.

Anmerkungen:
1. Die Überschrift gleicht dem Titel eines Bühnenprogramms von Lisa Eckhart aufs Haar.
2. Ich hätte gern irgendwann mal den ersten Satz von Tucholskys Was darf die Satire? gewürdigt

Der Ernst meines Lebens

Wir gehen doch nicht in die Schule, um etwas zu lernen. Manchmal passiert es trotzdem.
(Den meisten) Unbekannter Dichter

Wir waren bei Corona. Nein, bitte nicht. Nicht heute.

Heute geht Krümel das erste Mal zur Schule. Also, er wird natürlich gefahren. Das erledigt Papa. Mama hat zu tun, an alles zu denken. Dann hat sie damit zu tun, im Anblick der schulranzenden Kinder zu erbleichen.
„Wir haben den Schulranzen vergessen.“

Ich habe ihn nicht vergessen. Ich habe nur nicht daran gedacht.
Wir müssen jedenfalls zurück.

Ich fahre – gegen meine Gewohneit – ein klitzekleines bisschen schneller als üblich, ich will jetzt nicht sagen: zu schnell – jedenfalls wendet sich ein Vorgärtner um und sagt aus seinem Gesicht: „HEJ!!!“
(Majuskeln und mehrfache Satzzeichen bedeuten im Internet SCHREIEN!!!!!)

Ich verstehe ihn ja. Wir wohnen in einer verkehrsberuhigten Zone und bei uns muss auch so mancher Verkehr etwas beruhigt werden. Ich sage auch manchmal: „Hej!“
Meistens aber zerre ich den Fahrer aus dem Auto, vertrimme ihn ordentlich und zünde anschließend sein Auto an.

Die Angelegenheit wird etwas entschärft dadurch, dass ich ja sooo schnell auch nicht war; ich hatte ihn wohl nur erschreckt. Und – bevor er sich mir und meinem Auto zuwandte, zeigte er mir einen anderen Körperteil, welcher durch das einzige Kleidungsstück, das er trug, welches der einzigen Aufgabe, welches es hatte, nämlich ihn, also den Körperteil, zu bedecken, nur sehr unvollkommen nachkam, nur unvollkommen bedeckt wurde.

Das ist eine Situation, die der Komik nicht entbehrt. Trotzdem soll sie uns gemahnen:

Bitte fahrt vorsichtig! Ob wir jetzt für die Schule oder für das Leben lernen – Leben ohne Schule geht irgendwie. Schule ohne Leben ist konsequent sinnlos.

Ernst also. Der Vater des Vaters meines Vaters hieß so. Den brauchen wir jetzt gar nicht. Aber seinen Sohn. In dessen Zeugnis der Berufsschule ist vermerkt, dass er nicht einen Tag zu spät kam oder gar auch nur einen Tag versäumt hätte. Was für eine Herausforderung!

La corona della creazione

Die Dummheit und das Universum …
Ja ja, Einstein. Ach, das kannten Sie schon?

Wir waren bei Sarah Bosetti. Also ich jedenfalls.
Sie hat mich doch ein wenig enttäuscht. Intellektuell.
Post für Karl Lauterbach:
„Sie nerven!“
Die Irritation ist für meinen Geschmack zu kurz. Ich kenne das doch? Der Feminismus nervt, sagt Frau Bosetti. Er ist anstrengend und sie würde gern ohne ihn auskommen.
Doch dann, nach der gründlichen Irritation, kriegt sie leider die Kurve und erklärt, dass er – der Feminismus – halt noch nötig sei.
Wieso leider? Das kriegen wir ein andermal.

Bei Lauterbach kriegt sie leider auch die Kurve. Wieso leider? Nun, das handeln wir sofort ab.

Es ist schade, wenn Kabarettisten ihre Stilmittel totreiten.
Etwa so:
Schule: Auf der einen Seite die keifenden, schlecht gelaunten, unmöglich gekleideten Menschen, die unvorbereitet zum Unterricht kommen – und die Schüler sind auch nicht besser.
So was macht Florian Schröder und der kann es doch eigentlich besser und das sollte eigentlich verboten werden: Auf der einen Seite der vermeintlich Eine, und auf der anderen Seite, huch, schon wieder der Eine. Nein, nicht mehr witzig.

Was sie sagen will, ist doch, dass Lauterbach einen unermüdlichen Job macht, der ihn und uns nervt. Schön, wenn er nicht nötig wäre.
Also der Job.
Der Feuerwehr ist es auch lieber, wenn sie bei der Prävention bleiben könnte.

Schön, wenn die Leute mit dem Riss in der veganen Rührschüssel recht hätten. Stimmt’s?
Nein, stimmt nicht. Es wäre schön, wenn wir diese Krise hinter uns hätten. Das kann man auch so sagen. Auch, dass es gut ist, wenn uns Leute begleiten, deren Profession es ist, sich Kenntnis zu verschaffen und diese uns mitzuteilen, möglichst unaufgeregt; und wenn sie sich mal irren, gehen sie immer noch ihrer Profession nach. Sich irren und korrigieren, suchen und finden, Thesen aufstellen, Thesen verwerfen, weiter suchen, neue Thesen aufstellen – das ist Wissenschaft.

Wirrköpfe können mal recht haben. Eine stehengebliebene Uhr zeigt auch zweimal am Tag die richtige Uhrzeit. Trotzdem binde ich sie mir nicht ums Handgelenk.

Schenke Lauterbach deine Aufmerksamkeit und streite mit Drosten, mit Kekulé (Alexander, nicht August), mit Schmidt-Chanasit, aber doch nicht mit Leuten, die Scharlatanerie mit Meinungsvielfalt verwechseln.


Man muss doch die Sorgen der Leute ernst nehmen?
Ich habe schon Schwierigkeiten, die Leute ernst zu nehmen. Und ich werde hier garantiert keine Thesen diskutieren.
„Aber ich habe es doch im Internet gelesen!“
Ich nicht. Aber ich weiß, dass – todsicher – auch das Gegenteil im Internet steht.

Güldet nicht.

Nigger is the woman of the world (Lohn Jennon)

Die Feministinnen haben die Welt nur verschieden gegendert,
es kommt aber darauf an, sie zu verändern.
(Walther Wiesenwetter)

Neulich habe ich Ärger vom Moderator einer, wie ich dachte, progressiven Seite bekommen. Ich hatte meinen Senf zu einem Artikel gegeben, der sich mit dem N-Wort beschäftigte. Da werden sich, hatte ich sinngemäß kommentiert, die Leute zum Beispiel im Kongo, welche die Zutaten für unsere Scheißhandys aus der Erde holen, aber freuen, dass wir sie nicht mehr Neger nennen.

Das ist, beschied man mir, verrohte Sprache (Scheißhandys), und ich hätte das N-Wort benutzt.

Ja, beim Lord Voldemort, dessen Name nicht genannt werden darf, ich habe das Wort benutzt. Weil es um das Wort ging.

Nein, ihr verwöhnten, weißen Mittelstandskinder, die ihr auch die Früchte des Neokolonialismus genießt, ich sage nicht Polacke, Itacker, Fidschi, Itzik, Japs und schon gar nicht Neger zu einem Bürger, der durch seine Sprache oder sein Äußeres oder durch seine Kultur oder Religion meine frühkindliche Prägung überschreibt. Ach schau an, das gibt es auch!

Und Leute, die um 17:00 Uhr fröhlich „Moin!“ sagen, Leute, die allezeit „Grüß Gott!“ sagen – wie komme ich dazu? – , Leute, die Nübertrabratl sagen, wenn sie Tablett meinen, und Japaner, die gar nicht fotografieren und Polen, die gar nicht … wo ist eigentlich mein Auto? Spaß beiseite.

Die Leute heißen Katarzyna oder Paolo oder Thuong oder Herr Goldstein oder Frau Kobayashi. Kein Grund für Gedruckse.

Aber: Die furchtbaren Wörter, die ich oben aufführe, gibt es. Sie werden aus dem Sprachgebrauch verschwinden, wenn wir sie nicht mehr benutzen. So wie Conti verschwunden ist, weitgehend Mongo und Spasti; Opfer (was für ein bescheuertes Schimpfwort!) ist im Rückzug.

Toll.

Dafür ist man jetzt behindert oder Autist. Irgendwie auch nicht besser.

Wenn wir – meine Familie und ich – durch Deutschland oder ins nahe Ausland fahren, machen wir gern Rast in einem schwedischen Möbelhaus. Nicht, dass wir noch ein paar Möbel oder auch nur ein Vorteilspack Teelichter mitnehmen wollen – nein, wir wollen bloß essen und das geht da ganz gut. Die Beratungsmenschen, egal ob in Hamburg, Dresden oder Florenz, sehen aus, wie alle aus demselben schwedischen Ei geschlüpft. Wer afrikanische oder asiatische Wurzeln hat, trägt Besen, Wischlappen oder sitzt an der Kasse. Das ist die Realität, und die Frage ist erst mal nicht, ob wir sie ändern wollen, sondern ob wir, wenn wir auf rassistische Schimpfwörter verzichten, was wir, verdammte Hacke, sowieso tun sollten! uns diese Realität irgendwie schön schielen und uns dabei auch noch gut fühlen. Dann haben wir uns das Schimpfwort Gutmensch auch redlich verdient.