Blick zurück in die Zukunft

Life is what happens while you are busy making other plans.
John Lennon

Die Qualitätsmedien rechnen mal wieder nach vorn und dort mit dem Schlimmsten, ja Allerschlimmsten. Capital, die Fachzeitschrift für den gebildeten Arbeiter, prognostiziert für die düstere Zukunft Ausfälle von einigen Fantastillionen Euro wegen des zur Zeit eingeschränkten Unterrichts.
»Fällt die Schule aus, lernen Kinder fast nichts dazu.«

Immerhin ist ihnen noch »fast« eingefallen. Ich gehe einen Schritt weiter: An dem, was den Kindern später an anwendbaren Wissen und Können zur Verfügung steht, haben die Schulen einen kaum zu unterschätzenden Anteil. Schaut man sich die Biographien erfolgreicher Menschen an, stellt man fest, dass der Anteil unter ihnen, die nicht unbedingt das Stipendium des Ministerpräsidenten, wahlweise des Kanzlers, Königs, Bischofs durch ihren schulischen Fleiß verdient haben, recht hoch ist. Faraday oder Edison haben praktisch gar keine Schule genossen.

Aber das nur nebenbei. Denn das Unappetitliche daran ist der Blick auf die Nützlichkeit erst der Schule und dann der Schüler.

Credo der Zeitschrift: Wirtschaft ist Gesellschaft. »Credo« heißt auf Deutsch: Ich glaube oder ich denke.

Wirtschaft ist Gesellschaft. Nun, ich glaube nicht.
Kultur ist Gesellschaft, und mit Kultur meine ich die schöpferischen Leistungen, Erkenntnisse, Erfahrungen und ihre Weitergabe an die Nachkommen. Der individuelle Schatz eines Jeden und die Summe für die Gemeinschaft, die Nation, die Menschheit. Ja, auch die Organisation des Stoffwechsels mit der Natur, die Organisation der Produktion und Distribution gehören dazu, aber nicht nur.

Und wenn die Schule das begriffe, dann wüsste sie auch, dass Bildung unendlich viel mehr ist als Ausbildung, und dass es auf ein paar Stunden mehr oder weniger gar nicht ankommt, sondern darauf, was man in den Stunden macht; dass die Aufteilung in »Fächer« höchst unzweckmäßig ist und die Trennung nach Jahrgängen erst recht.

Hier wäre dann aber Mühe erforderlich und weniger Mühe macht es, dem Komplettlehrgang einen ökonomischen Nutzen zuzuweisen und sich dann ggf. zu beklagen, dass der nicht wie berechnet eintrifft. Und weil die durchaus auch zutreffende Formel Schule ist Gesellschaft utilitaristisch, also mit der ökonomischen Denkblockade im Gedärm (wieso Gedärm? Na ja, halt verkehrt herum) verstanden und behandelt wird, kommen wieder die apokalyptischen Reiter der Bertelsmann-Stiftung und ihrer befreundeten think tanks und wenn PISA, TIMMS und VERA nicht ausreichen, dann kommt ein neuer Test. Der liefert dann auch wieder schöne neue Zahlen. Nein, nicht schön, aber neu.

Die Zahlen dürfen nicht schön sein. Es gehört zur Verschwörungserzählung der ganz anderen und weithin unbekannten Art, dass die deutschen Schüler a) ziemlich deppert sind und dass b) rudelweise Fachleute fehlen und zwar wegen a). Und wenn die Qualität der Bildung so mangelhaft ist, fehlt’s eben auch am Beutel. Da braucht’s gar kein Coronavirus, aber es ist ein netter Zug der Capitalisten, nun den Schülern und künftigen Prekarianern zu sagen, dass sie ja nichts dafür können, sondern dass es diesmal Signorina Corona verbockt hat.

Eigentlich regt mich als Mathematiker (im Rahmen meiner Möglichkeiten) etwas ganz anderes auf:
Es gibt ja wirklich Spaßvögel (das können die nicht ernst meinen, aber es wird ernsthaft ins Internet gedruckt), die berechnen, wieviel Milliarden Euro/Dollar/Yen man sparen könne, wenn man beim Duschen pullert. Einmal spülen kostet ungefähr zehn Liter, und wenn man das nur an den Werktagen so handhabt, dann spart man beiläufig 2,5 Tonnen Wasser im Jahr und das mal Weltbevölkerung mal Wasserpreis macht Donnerwetter sooo viel Geld.

Nein, macht es nicht.

Und weil Herr Pufpaff heute als einer der unsagbar traurig wenigen Menschen Murphys Law richtig zitiert, sei das auch gleich mit abgehandelt. Ich erinnere mich an eine englische Schulklasse, die vor etlichen Jahren eben dieses Gesetz »beweisen« wollte und Dutzende Toastbrotscheiben vom Teller rutschen ließ, die dann prompt alle auf die Butterseite fielen. Quod erat demonstrandum dumm dumm.

Wer Zeit hat, kann zwischendurch pullern gehen und unterwegs mal gucken, was ein stack ist. Und so handeln wir das jetzt ab: Last In First Out. Und wer jetzt meint, dass das alles ein bisschen chaotisch zugeht – nein nein nein nein nein (crescendo), es ist immer noch linear und was kann ich dafür, dass ihr an deutschen Schulen in PISA versagt habt.

Es heißt nicht: Was schief gehen kann, geht immer schief. Das Toastbrot fällt nur deshalb immer auf die Butterseite, weil die Anfangsbedingungen annähernd gleich sind. Klettert doch auf den Schrank und probiert’s noch mal!
Nein. Es heißt so etwa: Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt und mindestens eine davon führt zu einem Fehler, dann kommt jemand und wählt diese Möglichkeit. Ich war oft genug dieser Jemand, aber davon ein andermal.

Das kleine Geschäft mit einem anderen zu verbinden, das zeigen zahllose Versuche in unserem Männerbad, führt zu keiner Ersparnis. Man spart kein kaltes Wasser, sondern verplempert warmes. Zeit obendrein.

Beide Beispiel zeigen, wie Wissenschaft nicht funktioniert: Zahlen hernehmen und damit manipulieren. Das kann man machen, aber es liefert keine Erkenntnis.

Auch die Zahlen, die seit zwei Jahrzehnten in den Schulen der Welt herbeigepisat werden, sind wissenschaftlich weitgehend wertlos. Und wenn der Religionslehrer schwanger ist oder die Physiklehrerin mit Angina im Bett liegt, dann fallen ein paar Stunden aus; die neuronale Vernetzung schreitet trotzdem munter voran. Wo das hin führt, hat ein bisschen mit der Schule zu tun und ganz viel damit, wo das Kind herkommt. Keine Sorge – der Apothekersohn wird auch Apotheker, keine Furcht vor der Tochter des Hausmeisters, die wird nur ausnahmsweise Hausbesitzerin und diese Auslese wird durch Corona verschärft, aber nicht verursacht.

***

John Lennon übrigens starb vor genau 40 Jahren durch die Hand eines Verwirrten, der in der anderen Hand eine von Lennon signierte Schallplatte hielt. Ich könnte immer noch heulen.
Ist die Welt nicht verrückt? Ja, das ist sie, und man fragt sich, ob trotz oder wegen der Schule.

John Lennon, und das hat mir mein Radio heute erzählt, wurde in der Schule gefragt, was er mal werden wolle. Glücklich, meinte er.
Du hast die Frage nicht verstanden, wurde ihm beschieden.
Nein, entgegnete der kluge John. Ihr habt das Leben nicht verstanden.

I read the news today, oh boy
About a lucky man who made the grade
And though the news was rather sad
Well, I just had to laugh.

(The Beatles, A Day In The Life)

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