
Ein völlig zerrissener Aufsatz
Ihnen fehlt der Fachmann,
Der fängt für Sie jeden Krach an,
Ihnen fehlt der Experte
Für die genügende Härte.
Konstantin Wecker
Der Gesundheitsexperte Heiner Lauterbach ist vermutlich gar nicht glücklich über die angehängte Bezeichnung Gesundheitsexperte. Er hat mehrere ordentliche Berufe und …
Ach, sorry, das war ein anderer. Wie komme ich auf Heiner?
Karl natürlich. Wikipedia weiß:
Lauterbach besuchte die Bürgerschule in Eisenberg in Thüringen. Von 1892 bis 1896 absolvierte er eine Kaufmannslehre …
Auch falsch.
Der andere Karl L. wars. Der hat also was ordentliches gelernt und bezieht daher seine Expertise.
Stopp mal. Das ist doch schon wieder Käse.
Das kommt davon:
Kompetenz habe ich begriffen, und vermutlich viele meiner Landsleute, als eine Mischung aus Fähigkeit, Zuständigkeit und Befugnis. Wer mir eine neue Elektroanlage legt, soll kompetent sein. Er muss es können, er muss es dürfen. Dem pädagogischen Dummdeutsch in seiner technokratisch durchsetzten Mischung aus Infantilität und Hochstapelei genügt es nicht, dass die Kinder lesen lernen. Sie müssen Lesekompetenz entwickeln.
Der Begriff ist geblieben, das Wort ist verbrannt.
(Victor Habermann, Schüler in Uniform 2008, weitgehend unveröffentlicht)
Was früher „Kompetenz“ war, ist nun also Expertise. Und Expertise hinwiederum hatte ja schon eine Bedeutung …
Raider heißt jetzt Twix, macht ja nix.
Und Heiner wiederum durfte ich erstmals kennenlernen …
Äh, kann man jemanden zweimal kennenlernen?
Ich schon. Ich habe zum Beispiel eine kolossale Amnesie, was Russisch für Mathematiker angeht. Ich kann mich an keine einzige Stunde erinnern. Ich hatte drei oder vier Semester Unterricht und eine Abschlussnote, sonst wäre ich nicht durchs Studium gekommen. Mit Englisch für Mathematiker habe ich mich wegen einer Facharbeit im Selbststudium etwas beschäftigt, daran kann ich mich erinnern. Psychologen würden jetzt sagen, dass es wohl am Interesse, um nicht zu sagen, Engagement, lag, aber das weiß ich selber.
Und Hans Peter Korff habe ich bei Adelheid und ihre Mörder das erste mal gesehen. Dachte ich. Denn als ich Loriots Papa ante Portas nach langer Zeit das zweite Mal sah, fiel mir auf, dass ich Korff schon einmal kennengelernt habe.
Geht also.
Lauterbachs Heiner spielt gar nicht so unamüsant einen Kerl, der fremdgeht, ausziehen muss und in eine WG zieht, die zunächst nur aus dem anderen Kerl besteht, der nun des ersten Kerls Gattin begattet. Infolgedessen heißt der Film auch Kerle.
Nee. Männer.
(Regie: Doris Dörrie, das ist eine Frau)
Männer, so endet der Film, schnarchen nicht. Sie beschützen ihre Frauen vor wilden Tieren.
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Wenn eine halbwegs berühmte Person stirbt, gibt es einen Wettlauf: Wer schreibt in die passenden YT-Kommentare als erster »R.I.P«?
Sir Sean (Connery) bekam außerdem noch mehrfach bescheinigt, dass er ja noch ein echter Mann war. Und echte Männer retten nicht nur die Welt, sondern drehen nebenbei noch feindliche Spioninnen um und legen sie flach. Die Reihenfolge ist dabei unwichtig. Verwechselt da jemand den Darsteller mit dem Dargestellten? Und will man nicht inzwischen ein anderes Männerbild um nicht zu sagen Mannsbild?
Roger Moore war auch nicht übel als James Bond. Er hatte die nötige Ironie im Spiel.
Noch ein Mann: Dirk Roßmann schreibt ein hübsches Märchenbuch (Der neunte Arm des Oktopus). Die Mächtigen der Welt erkennen den Ernst der Lage. Zum Beispiel Kamala Harris, US-Prasidentin ab 2025 (durchaus denkbar), Wladimir Putin, dann immer noch Präsident der Sowjetunion (wer sonst? Und dass es nicht mehr Sowjetunion heißt, weiß ich schon).
Nur dass die wirklich Mächtigen nicht nur anders heißen, sondern auch auf anderen Stühlen sitzen. Es sind unter anderem die, welche in gar nicht mal so großen Drogerieläden beiläufig 300 Meter nur für Haarpflege und-tönung bereitstellen. Falls jemand Rat braucht, wie man mit Ressourcen sparsam umgeht, mir fiele da was ein …
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Und weil wir gerade bei der Gesellschaftskritik sind – Friedrich Engels hat ja heute Geburtstag.
So eine Stadt wie London, wo man stundenlang wandern kann, ohne auch nur an den Anfang des Endes zu kommen, ohne dem geringsten Zeichen zu begegnen, das auf die Nähe des platten Landes schließen ließe, ist doch ein eigen Ding … Ich kenne nichts Imposanteres als den Anblick, den die Themse darbietet, wenn man von der See nach London Bridge hinauffährt. Die Häusermassen, die Werfte auf beiden Seiten, besonders von Woolwich aufwärts, die zahllosen Schiffe an beiden Ufern entlang, die sich immer dichter und dichter zusammenschließen und zuletzt nur einen schmalen Weg in der Mitte des Flusses frei lassen, einen Weg, auf dem hundert Dampfschiffe aneinander vorüberschießen – das alles ist so großartig, so massenhaft, daß man gar nicht zur Besinnung kommt und daß man vor der Größe Englands staunt, noch ehe man englischen Boden betritt.
Was für eine Poesie!
Wie sich leicht denken lässt, geht es um Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Als er darüber schrieb, war Engels gerade 24 Jahre alt. Die ersten Treffer bei Amazon zeigen einen steinalten Mann auf der jeweiligen Titelseite. Wie übrigens auch bei Marx, Darwin, Einstein, Twain, … Warum? Von von von Fontane abgesehen, haben doch die meisten Autoren das meiste in der Blüte ihrer Jugend geschrieben.
In der Ausgabe von 1892 schreibt Engels,
»heute bin ich dreimal so alt, und wie ich diese Jugendarbeit wieder durchlese, finde ich, daß ich mich ihrer keineswegs zu schämen brauche.«
Das denke ich auch, schon deshalb, weil ich selber zwar an Altersweisheit und -starrsinn gewonnen habe, aber meinen Kompass schon damals gefunden hatte. Bei mir war es 1985 und Genosse Gorbatschow schaute durchs Fenster der Weltgeschichte.
Ich begann, an meiner Diplomarbeit zu schreiben, in der es darum ging, den Computer in den Mathematikunterricht einzubringen. Was für ein blühender Unsinn!
Aber das nur nebenbei.
R.I.P., General!