Autobiographie, Intermezzo IIIa

Autobiographie, Intermezzo IIIa

»Wanderst durch das ganze Land, allen bist du gut bekannt.
Taler, Taler wünsch dir Glück, irgendwann kommst du zurück.
«
(Talerlied, Lakomy/Ehrhardt, 1984)

Gestern habe ich mir einen Taler gekauft. Eine 3-Mark-Münze aus dem Jahre 1922.

Eigentlich wollte ich mir eine Laptoptasche kaufen. Nein, das stimmt nicht, ich wollte mir einen Laptop kaufen. Stimmt auch nicht, denn ich wollte nur mal schauen, ob es denn ggf. was in der Nachbarschaft gäbe. Das kann man ja heute alles im Internet nachsehen, wenn man eins hat. Wenn man Laptop eingibt, werden auch Laptoptaschen angezeigt. Kann man auch brauchen. Ist ein Schnäppchen, versicherte mir der Verkäufer später. Nun gibt es beim selben Verkäufer auch noch andere Artikel, schaun wir mal. Und da war er, der Taler.

Was hat das eigentlich mit Autos zu tun?
Gemach.

Jetzt wollte ich den Taler haben. Die Tasche? Kann man auch gebrauchen.
In der Laptoptasche ist jetzt mein Laptop. Ich bin nicht ganz zufrieden mit ihm; er ist schon recht alt.
Ja und, sagt die beste Gefährtin von allen, du bist auch alt. Und, tausche ich dich aus?

Das ist ein Kompli-, aber kein Argument.

***

Mein Taler ist genau genommen kein Taler. Ein rechtschaffener Taler kommt ursprünglich aus Joachimsthal (Böhmen), so wie das Uran und so wie das Radium, welches Marie Curie aus den Rückständen der Uranproduktion, der sogenannten Pechblende, extrahierte, und war aus Silber. Mein Taler ist ein hauchdünnes Aluminiumplättchen, kümmerlicher noch als das spätere Alugeld der DDR; kaufen konnte man davon praktisch nichts. Es ist ein numismatisches Denkmal.

Anfang des Jahres 1922 konnte man gerade ein Kilogramm Roggenbrot für drei Mark bekommen. Ende des Jahres musste man dafür schon über hunderttausend Mark hinlegen. Etwas später heirateten die Großeltern mütterlicherseits und erzählten später ihren verdutzten Enkeln, dass der Kutscher als Trinkgeld eine Million bekam.

Die Großeltern väterlicherseits bekamen ihr erstes und einziges Kind. Es hätte, so wie mein Taler, im nächsten Jahr seinen hundertsten Geburtstag. Dieses Kind wünschte sich ein Auto, auch als es schon groß war. Und als es einen neuen Staat gab und neues Geld, bastelten die Großeltern ein Papierauto. Es hatte 5-Mark-Stücke als Räder und 5-Pfennig-Stücke als Scheinwerfer. Das Auto war als geschlossener LKW gefertigt, es hatte also einen Laderaum und dieser hatte oben einen Schlitz, groß genug für weitere 5-Mark-Stücke.

Es war eher so, dass mein Vater, dieses autowünschende Kind, seine Eltern finanziell unterstützte. Das Geschenk sollte wohl eher eine Ermahnung sein: Halte dein Geld zusammen; was übrig ist, steckst du in die Papierdose.

Es hat nicht sollen sein. Mein Bruder hatte einige Zeit zuvor das Pay-TV erfunden. Auch hier gab es eine selbstgebastelte Spardose, weil wir einen neuen Fernseher brauchten. Dazu gab es eine Preisliste, die kostenlose Sendungen aufführte, etwa die Nachrichten und das Sandmännchen. In einem Anflug von merkwürdiger Gehässigkeit bekam Wünsch dir was mit Irmgard Düren den Preis von 2,50 M; der Rest lag dazwischen, ich glaube, ein normaler Film sollte mit zehn Pfennig bezahlt werden.
Es kam sehr wenig zusammen; der Fernseher wurde dann anders bezahlt.

Das Auto? Na ja, es wurde auch nicht voll und blieb als Papierbastelkunststück, ohne jemals große Last zu tragen. Ich meine, es hat nicht nur Vater überlebt, sondern auch zwei Autos, die anders bezahlt wurden. Ich kam jedenfalls eines Nachts mit dem Taxi aus irgendeiner Berliner Gegend, in die es mich aus irgendeinem Grunde verschlagen hatte, nach Hause und brauchte noch ein kleines Geld. Nicht nur fahrgeld-, sondern ebenso herzlos riss ich dem Auto ein Bein aus, also ein Fünfmarkstück. Der Fahrer schaute ein bisschen scheel, denn es klebte noch allerhand Papier an der Münze.

Fortsetzung folgt.

Ein Gedanke zu “Autobiographie, Intermezzo IIIa

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