
Freedom’s just another word for nothing left to lose …
(Kris Kristofferson: Me and Bobby McGee, besonders bekannt durch Janis Joplin)
Hegel hat das ja ganz gut erklärt. Aber erstens hat wieder mal keiner Hegel gelesen, zweitens kann man Hegel nicht lesen, drittens stapfen wir noch mindestens knöcheltief durchs Engels-Jahr und ergo soll Engels uns das verdolmetschen.
»Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebnen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen … Freiheit des Willens heißt daher nichts andres als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können.«
Friedrich Engels (Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft)
Das war es eigentlich schon. Ich frag das nachher ab.
Wenn man ohne den philosophischen Tiefgang, der diesen Blog auszeichnet, über Freiheit grübelt, denkt man an langsam oszillierende Feuerzeuge und die Scorpions. Oder an Joachim, den Ungewaschenen: Was hat der nicht alles über Freiheit zusammenerzählt.
Freiheit. Ein Plädoyer.
So heißt ein Buch, eher ein Büchlein, und ähnlich heißen weitere Publikationen, oft gedruckte Reden, denn er redet wie gedruckt. Salbungsvoll, pathetisch und weitgehend inhaltsleer.
»Wie kommt es, dass Menschen, […] bei Meinungsumfragen, trotz aller Zufriedenheit mit ihrer persönlichen Situation, fast immer eine große Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen an den Tag legen? Wie kommt es, dass sie meinen, dass unser Gesellschaftssystem, dass die Demokratie nicht geeignet sei, die aktuellen Probleme zu lösen? […] Für den Osten mag man noch mildernde Umstände fordern. Aber, dass der Sozialismus auch dem Westen mit seinen 60 Jahren Demokratie- und Freiheitserfahrung als wünschenswerte Alternative erscheint, das lässt sich nur als Flucht aus der Wirklichkeit und tiefe Verwirrung bezeichnen.«
(3. Berliner Rede zur Freiheit am Brandenburger Tor
Joachim Gauck: „Zwischen Furcht und Neigung – die Deutschen und die Freiheit“
Broschüre, herausgegeben von der Friedrich-Naumann-Stiftung, April 2009)
Ein Pfaffe, der als Anwalt für seine Schäfchen mildernde Umstände fördert, gleichzeitig als Psychiater den Westschafen Verwirrung attestiert. Ich habe versucht, herauszufinden, was Joachim Gauck meint, wenn er von Freiheit spricht.
»Es hieß immer, Gaucks Thema sei die Freiheit. Aber Freiheit bedeutete für ihn stets nur Abwesenheit von DDR.«
(Jakob Augstein, der Freitag, 23/2016)
Ja, so kann man das sagen.
Natürlich meinte Gauck immer die bürgerlichen Freiheiten, so wie es jeder tut, der entweder nicht von Missständen in diesem unseren Lande reden will und/oder die Illegitimität der DDR beweisen will bzw. wollte. Und damals wie heute war oder ist der Streit leicht totzuschlagen:
»Geh doch rüber« bzw., gleichbedeutend: »Du willst doch nur die DDR wiederhaben.«
Das heißt, »die Freiheit» oder die Freiheiten, welche Gauck meint, sind ein Wert an sich und bedürfen nicht nur keiner Erklärung, sondern auch keiner Ergänzung. Anatol France sprach von der majestätischen Gleichheit des Gesetzes, »qui interdit au riche comme au pauvre de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain«, welches es Armen und Reichen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen. Gauck treibt den Spott in die andere Richtung, er ist begeistert von den streikenden Werftarbeitern in Rostock und Gdańsk 1953 und 1988 und für die arbeitslosen Werftarbeiter 1992 hat er rückblickend [2012] kein Verständnis. »dass [sie] sich tief verunsichert fühlten, orientierungslos in der neuen Freiheit, überfordert mit den unzähligen und einschneidenden Veränderungen, ungeübt in der Übernahme von Verantwortung.«
***
Das wäre dann der erste Haken an der »Freiheit«: Dass sie schlicht nichts wert ist, wenn man seine Miete nicht bezahlen kann. »Erst kommt das Fressen«, sagt Brecht, »dann die Moral.«
Am selben Haken hängt die pastorale Arroganz, die aber nur schmückendes hässliches Beiwerk der Apologetik der herrschenden Verhältnisse ist. Es ist wohlfeil, Freiheit zu fordern und dann zu feiern, wenn man sonst keine Sorgen hat. Und deshalb war man ja Gauck so dankbar, dass er in dieser Sphäre schweben blieb, statt sich um die zu kümmern, die mühselig und beladen sind. Ja! »Aufatmen sollt ihr und frei sein!« Aber erzählt nicht, was so mühselig ist, ihr Undankbaren!
Und Gauck ist es ja nicht allein. Die Wikipedia, um immer noch nur beispielhaft zu argumentieren, zählt – ganz gewiss sehr unvollständig – 25 DDR-Dissidenten auf. Neun Schriftsteller, drei Liedermacher, zwei Philosophen, je einen Literatur- bzw. Sozialwissenschaftler …
Hatten die keinen Koch bei sich? Keinen Schlosser, Maurer, Transportarbeiter? Und hatten die nie die Idee, dass es partikuläre Interessen sind? Nichts gegen Freiheit, aber die Eltern, die ich als junger Lehrer zu Hause zu besuchen hatte (glaubt man heute nicht, aber ein, zwei Hausbesuche pro Jahr waren Pflicht für den Klassenlehrer), die zeigten mir ihre Schrankwand und sagen: »Schauen Sie mal, alles Sperrmüll! Ich will für meine Arbeit richtiges Geld und richtig was kaufen.«
Und so wurde aus »Wir sind das Volk« »Wir sind ein Volk« und »Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zur ihr«
Nein, Doktor honoris causa, die Formel heißt nicht: Vom Untertan zum Citoyen. Eher: Vom Dederonbeuteldeutschen zum Konsumenten, zum Schnäppchenjäger. Die Freiheit gönne ich mir – das ist doch kein staatsbürgerlicher Anspruch, es kommt aus der Werbung. Genau wie damals: »Die Revolution vom letzten Herbst [1989] geht weiter … « und dann ging es um Kaffeepreise.
Wegen des schlechten Wetters findet die Revolution im Supermarkt statt.
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Fortsetzung folgt.
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