»Ja«, sagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zusammenfaltete, »die ist uns über.«
(Theodor Fontane, Effi Briest)
Wir waren bei schlechtem Stil. Also ich jedenfalls.
Fangen wir an:
Gerhart Polt tut es, Rolf Miller tut es, Georg Schramm tut es. (1)
Heinz Becker und Herbert Knebel sind so überzeugend, dass die Namen ihrer geistigen Väter, die ihre Figuren sprechen lassen, längst nicht so geläufig sind wie die ihrer Geschöpfe.
Richling und Dittsche lassen wir mal außen vor (2), denn dazu hat sich Titanics Humorkritik schon ausgelassen und besser als Hans Menz kann ich es auch nicht.
Damit reißen sie den kritisierten Personen die Maske vom Gesicht (3), entstellen die Verhältnisse zur Kenntlichkeit (4) und halten ihrem Publikum den Spiegel vor. (5)
Dann lege ich mal den Finger in eine ganz andere Wunde. (6)
Jetzt reicht es aber. Sonst trudeln noch die Gäste ein, welche natürlich gute Laune mitgebracht haben, weil sie wissen, dass fürs leibliche Wohl gesorgt ist. Kaum zu glauben aber wahr, auch die dümmsten Phrasen werden hundert Jahr …
… und ja, manchmal fällt einem nix besseres ein auf der Datenautobahn nachts um halb eins. Dann sollte man sich noch mal hinlegen.
Wir waren bei Lisa Eckhart. Also ein bisschen, und nun bläst mir das Möchtegern-Feuilleton (7) – ich wollte das doch lassen! – webpunktde (ja, die richtigen Zeitungen haben das Thema auch schon, aber die kommen mir nicht vor dem ersten Kaffee ins Blickfeld) einen Sturm ins Urinal.
Frau Eckhart darf nicht beim Harbourfront Literaturfestival in Hamburg auftreten, wegen Feigheit vor dem Nachbarn. Der (inwieweit hier Antifa oder links zutrifft, steht in einem ganz anderen Witzblatt) unterstellt hier angeblich antisemitische Klischees und erlaubt sich angeblich, darauf hinzuweisen, dass man ja die Veranstaltung verunstalten könnte.
Der größere Skandal ist jedoch, dass man dann nicht einfach einen Wachmann vor die Tür stellt, sondern die zu erwartende Steinigung der Oberhexe als Stein des Anstoßes nimmt, um nicht etwa die ungebeten Gäste, sondern den geladenen Gast auszuladen.
Ach, du lieber Gott (egal, welcher)!
Die Juden sind ein Volk des Buches. Das gefällt mir. Ich bin auch ein Volk des Buches.
Götz Aly (Warum die Deutschen? Warum die Juden?) führt einen beträchtlichen Teil der Judenfeindlichkeit auf blanken Neid zurück. Neid auf den kulturellen und wirtschaftlichen Erfolg, der ja jedem freistünde, der sich ähnlich eifrig in die Bildung stürzte. Aly führt Statistiken an, die belegen, wie überdurchschnittlich beispielsweise die Gymnasien von Juden besucht wurden.
Bessere Bildung, bessere Chancen, besseres Geld.
Sollte mich wundern, wenn Lisa Eckhart, die vier Sprachen spricht und ihren Hegel garantiert nicht nur zusammenwikigoogelt, dieser Aspekt nicht auch faszinieren würde. Eine der klügsten – und nebenbei auch jüngsten, was Erwartungen weckt – Frauen des deutschsprachigen Kabaretts hat antisemitische Vorurteile?
„Jetzt plötzlich kommt heraus, den Juden geht’s wirklich nicht ums Geld. Denen geht’s um die Weiber, und deswegen brauchen sie das Geld.“
(Lisa Eckhart zit. nach Berliner Zeitung)
Das Klischee ist eventuell antisemitisch, Frau Eckhart nicht. Schon gar nicht bedient sie Klischees. Es geht um Macht. Macht durch Geld und umgekehrt. Wer das Geld hat, kriegt „die Weiber“. The winner takes it all. Hier hat sich Harvey Weinstein offenbar geirrt, und ob er zurecht verurteilt wurde, wird hier nicht verhandelt, er wurde jedenfalls nicht verurteilt, weil er Jude ist.
Was macht denn der Antisemit, der hier angeblich von Frau Eckhart so gut bedient wird? Sagt er sich: Der Mann nähert sich den Frauen auf unsittliche Weise und das verurteilen wir? Oder sagt er: Der Mann hat sich die Mittel, die ihm die Inbesitznahme weiblicher Gunst erleichtert, unredlich verschafft, und diese Mittel hätten wir auch gern?
Also: Ist der Mann das Schwein? (Auflösung: Nein!)
Oder ist der Jude das Schwein? (Auflösung: Nein!)
Lisa Eckhart wirbelt uns gehörig durcheinander. Auf dem Platz bleiben Verwirrte, Verletzte und Verwunderte. Das mag Eckharts Kalkül sein, ihre Schuld ist es nicht.
Anmerkungen:
1. Die Überschrift gleicht dem Titel eines Bühnenprogramms von Lisa Eckhart aufs Haar.
2. Ich hätte gern irgendwann mal den ersten Satz von Tucholskys Was darf die Satire? gewürdigt