
Ein Linksgutachten
Teil I
«Er ist aus Hannover, wo sie das reinste Deutsch sprechen – das allerreinste.»
(Kurt Tucholsky, der Buchstabe G)
Im Dezember 2021 legte Frau Professor Dr. Ulrike Lembke ein von der Stadt Hannover bestelltes Gutachten »Geschlechtergerechte Amtsprache« vor. Die folgende Arbeit kritisiert wesentliche Punkte. Sie stützt sich auf die im Gutachten vorgegebene Struktur.
Die blauen Boxen zitieren aus dem Gutachten, grün steht für andere Quellen; Exkurse sind gelb.
I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
- Die Rechtslage zu sprachlicher Gleichbehandlung
Gleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder, Verwaltungsrichtlinien, Beschlüsse und Organisationsrecht verpflichten seit 30 Jahren rechtsetzende Instanzen, Behörden, Gerichte, Hochschulen, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zu sprachlicher Gleichbehandlung.
Das stimmt im Prinzip, allerdings sind die rechtlichen Formulierungen sehr allgemein auf Gleichstellung bezogen, zur Sprache selbst findet sich wenig, zum Beispiel:
Berlin:
»Bei Stellen- und Funktionsausschreibungen und öffentlichen Bekanntmachungen ist sowohl die männliche als auch die weibliche Sprachform zu verwenden … «
Brandenburg:
»-vorschriften haben sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung zu tragen.
…
geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen … «
Hessen:
» … sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern sprachlich zum Ausdruck bringen.«
Der mitgelieferte Kommentar in Hessen behauptet, dies »bezieht sich auf die Amts- und Rechtssprache, die traditionell durch maskuline Personenbezeichnungen geprägt ist und in der Frauen nur ›mitgemeint‹ sind«
Auf »mitgemeint« komme ich noch.
Saarland:
» … , dass geschlechtsneutrale Bezeichnungen gewählt werden, hilfsweise die weibliche und die männliche Form verwendet wird.«
Es ist also ein großer Spielraum gegeben; das Gebot der Benutzung nichtsprachlicher Zeichen, insbesondere des »Gendersternchens« findet sich nicht.
»Häufig werden die geltenden Regelungen aber nicht umgesetzt oder direkt missachtet. Das haben die Entscheidungen der Zivilgerichte zu den „Sparkassenformularen“ besonders deutlich gemacht.«
Nun, das ist ein starkes Stück. Eine gelernte Juristin kritisiert Juristen, die bei ihren Entscheidungen nicht der Opportunität folgen, sondern zu einer eigenen Würdigung kommen, nämlich der, dass das generische Maskulinum geschlechterneutral benutzt wird. Mit der Auffassung könnte man auch den Irrtum aus der Welt schaffen, dass Frauen »mitgemeint« sind – sie sind überhaupt nicht gemeint.
Die Klägerin beansprucht eine eigene Ansprache als »Kundin« oder »Kontoinhaberin«.
Die Sparkasse beteuert, dass sie bei persönlichen Schreiben selbstverständlich Frau Krämer schreibt, ja, was denn sonst? »Der Kunde« auf dem Formular aber ist abstrakt, irgendein Mensch, der eine Beziehung zur Sparkasse hat, dessen sonstige Eigenarten irrelevant sind.
Im Konkreten gebietet es die Höflichkeit, eine Frau als Frau anzusprechen. Wenn aber eine Frau sich als Jurist vorstellt, als Lehrer, Ingenieur etc. – dann gebietet es ebenfalls die Höflichkeit, ihr nicht über den Mund zu fahren. Offenbar ist ihr der gelernte Beruf wichtiger als die Eigenschaft, eine Frau zu sein.
Ja, das kann man anders sehen. Dann sollte man es auch so formulieren – als eine abweichende Meinung. Ein Gesetzesverstoß lässt sich jedenfalls nicht herleiten, nur ein Verstoß gegen die Weltanschauung eines Teils der Gesellschaft.
Dass die Interpretation sich ändern kann, steht also auf einem anderen Blatt. Und das wird zur Zeit von Frauen wie Ulrike Lembke und Männern wie Anatol Stefanowitsch fleißig vollgeschrieben, so dass Juristen später durchaus zu einem anderen Urteil kommen können.
2. Die geltende Rechtslage zu geschlechtergerechtem staatlichem Sprachhandeln»
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sog. Dritten Option und der konsequenten Änderung des Personenstandsgesetzes sind in Deutschland weitere Geschlechter jenseits von männlich und weiblich verfassungsrechtlich und gesetzlich anerkannt.«
Mitnichten.
Das Personenstandsgesetz sieht nach seiner Änderung drei positive (neben dem Offenlassen) Einträge für das Geschlecht vor: Männlich, weiblich, divers. Für den dritten Eintrag sind einige Hürden zu nehmen; man kann sich also nicht beliebig entscheiden.
Auch hier gilt wieder: Panta rhei. Wer den Text in zehn Jahren liest, wird womöglich schmunzeln oder verwundert den Kopf schütteln über die derzeitige Konfusion. Was das Geschlecht für eine Kategorie ist, und wie die Zugehörigkeit zu entscheiden ist, müsste geklärt werden, und das ist keine Aufgabe für Juristen.
Die bisherige Übereinkunft, die Sexualität als Produkt und Motor der Evolution zu sehen, hat sich als Erklärung gut bewährt: Die genetische Vielfalt als Evolutionsvorteil benötigt zwei verschiedene Geschlechter, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Für soziale Zuschreibungen oder Selbstzuschreibungen das selbe Wort zu benutzen, verwässert die Begriffsbildung. Die Auffassung, die sich im Personenstandsgesetz findet, sagt, dass es männliche und weibliche Menschen gibt, und es gibt Menschen, bei denen das (noch) nicht erkennbar ist. Das heißt genau genommen nicht, dass es ein drittes Geschlecht gibt, sondern, dass eine Zuordnung nicht möglich ist.
Exkurs
Was Sie schon immer über Sex wussten.
Das Wort »binär« erinnert an Computer, an Boolesche Algebra, an die strikte Zuweisung zu einem von genau zwei Zuständen: Spannung/keine Spannung; an/aus; Eins oder Null. Wenn nun Schwellenwerte für die Zuweisung Null oder Eins definiert werden, zum Beispiel
U ≤ 5 V ==> Null;
U ˃ 5 V ==> Eins,
dann kann man sagen, die Spannung ist ja in der Regel nicht gleich Null oder Eins. Das stimmt natürlich, aber es ist eine andere Größe.
Die Spannung wird in Volt (V) gemessen und beträgt zum Beispiel 3,8 V oder 7,4 V. Für das Funktionieren des (herkömmlichen) Computers können aber nur zwei Werte akzeptiert werden, Null oder Eins, deshalb die Zuweisung.
Die Säugetiere pflanzen sich durch diesbezüglich erfolgreiche Begegnungen von XX und XY fort. Etwas anderes ist die Zuschreibung von Eigenschaften, die als typisch männlich oder typisch weiblich gelten sollen. Das – noch einmal – ist aber etwas anderes. Dann braucht es auch andere Begriffe. Die Genderforschung müsste also einen kohärenten Begriffsapparat schaffen, um Verwechslungen zu vermeiden. Ich habe den Verdacht, dass die Verwechslungen nicht unerwünscht sind.
Wenn die Damen Trömel-Plötz oder Pusch privat eher nichts von Männern halten, wenn Lann Hornscheidt sich als genderfrei sieht, ändert das nichts daran, dass jedes einzelne Säugetier, von wenigen Ausnahmen abgesehen, potenziell Vater oder Mutter ist bzw. werden kann oder mal konnte.
Tertium non datur.
Auch wenn die Geschlechtsorgane nicht sichtbar, verkümmert oder doppelt vorhanden sind – es sind Geschlechtsorgane.
Umgekehrt: Das Wort »blind« hat nur dann Sinn, wenn das Konzept »Sehen« potenziell inkludiert ist; ein Tisch etwa kann nicht blind sein.
Es ist das kulturell Angeeignete, nicht das evolutionär Angelegte, dass wir aus » … schuf sie als Mann und als Frau« nicht zwingend » … seid fruchtbar und mehret euch … « folgen lassen.
Hornscheidt kann sich als ens Käufens mit ens Einkaufskorb fühlen, bleibt aber biologisch trotzdem eine Frau. Das kann man nicht abwählen.
Bei der Lateralität gibt es ein Kontinuum, wir sind selten strikt Links- oder Rechtshänder, sondern irgendwas dazwischen.
Beim Geschlecht sind wir – Teufelswort – binär.
Frau Lembke will die Anerkennung »weitere[r] Geschlechter jenseits von männlich und weiblich« herauslesen, dafür gibt es keine Grundlage. Ihre eigene Haltung mag eine andere sein, sie lässt sich aber aus der genannten BVG-Entscheidung nicht herleiten.
Ja, man kann Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern konstatieren (dazu später mehr). Gewiss kann man fordern, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Was nicht geht: Immer neue Geschlechter entdecken, die per se als ungerecht behandelt gesehen werden, so dass neuer Handlungs- und Regelbedarf entsteht. Das hört nämlich nicht auf. Auch hier liegt der Verdacht nahe, dass es letztlich doch nur darum geht:
Wohin mit den vielen Gleichstellungsbeauftragten, wenn die Gleichstellung erledigt ist?
»Das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz fordert auch geschlechterinklusives hoheitliches Sprachhandeln.«
GG 3.3.1. ist nach »Geschlecht« nicht zu Ende:
»Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.«
Das Wort Diskriminierung taucht genau genommen gar nicht auf, auch nicht in Zusammensetzungen. Unterscheiden (lat. discriminare) darf man schon; der Unterschied darf aber nicht zu einem Vor- oder Nachteil führen.
Jetzt kann man streiten, ob die Exklusion verboten oder ob die Inklusion geboten ist, jedenfalls betrifft das auch die Abstammung, Rasse (was immer das sein soll), Sprache; den Glauben, die religiösen und politischen Anschauungen.
»Wenn es also eine Wortform für weibliche Berufsausübende braucht, bedarf es dann nicht genauso einer Wortform für jüdische oder schwarze oder schwule Berufsausübende mit Behinderung? Wenn es wichtig ist, ein Wort zu verwenden, das die beiden Informationen „Bundeskanzler“ und „Frau“ oder „Schriftsteller“ und „Frau“ enthält, wäre es dann nicht genauso richtig, auch die Information „jüdisch“ in das Wort aufzunehmen?«
(Nele Pollatschek)
Ja, das ist absurd, und so ist es ja auch gemeint. Aber bitte auch umgekehrt: Wenn jüdisch oder schwul oder schwarz nicht wichtig sind – wieso ist die Weiblichkeit dann wichtig?
[Noch 2.]
»Die Regeln zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern sind daher zu Regelungen für eine geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache weiterzuentwickeln.«
[Fette Hervorhebung durch die Verf., Unterstrichen von mir]
Ich musste sofort an Marx denken:
»Statt dessen wird durch die Wortschraube ›und da‹ ein zweiter Satz angefügt, um aus ihm, nicht aus dem ersten, eine Schlußfolgerung zu ziehn.«
(Kritik des Gothaer Programms, 1875)
Formal ist ja ein Bezug zum ersten Satz da, aber inhaltlich nicht. Wenn die Prämisse falsch ist, kann man alles mögliches folgern (ex falso quodlibet), damit ist die Aussage insgesamt wertlos.
Also: Die Regeln sind zu Regelungen weiterzuentwickeln.
Welche Regeln? Die Regeln, die sich sozusagen von selbst ergeben; die Regeln, welche man gern hätte? Die Regeln, die schon irgendwo zu finden wären, aber auf 123 Seiten nicht genannt oder gar erläutert werden können, weil der Platz nicht reicht?
»Das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz fordert auch geschlechterinklusives hoheitliches Sprachhandeln. Insbesondere Kommunen und Hochschulen haben sich im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsautonomie inzwischen zu geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache verpflichtet.«
Die Juristin müsste nicht nur wissen, dass die Autonomie ihre Grenzen (in den einschlägigen Gesetzen) hat, sondern auch erläutern. Kommunale Aufgaben beziehen sich auf die Kommune, auf ihre Straßen, Schulen, Behörden. Eine eigene Sprache zu entwickeln fällt nicht in die Kompetenz einer Selbstverwaltung. Selbst die konsequente Nutzung eines Dialekts als Amtssprache wäre gesetzwidrig.
»Leitfäden, Praxisbeispiele und Erfahrungsaustausch unterstützen die Verbreitung geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache.«
Ja, das stimmt wohl. Mit der Einschränkung, dass der Anspruch, sich »geschlechtergerecht« auszudrücken, erkennbar ist, aber darüber hinaus kein Regelwerk. Mal so, mal so. Die Geste zählt.
Was haben wir also bisher?
Gleichstellungsgesetze, Verwaltungsrichtlinien, Beschlüsse und Organisationsrecht; Leitfäden, Praxisbeispiele, Erfahrungsaustausch.
Katharina und Robert aus dem Deutsch-Leistungskurs:
Ihr erläutert jetzt bitte die geltende Rechtslage zu geschlechtergerechtem staatlichem Sprachhandeln!
Ihr dürft euch die Aufgabe geschlechtergerecht teilen.
3. Pseudo-generisches Maskulinum, mentale Repräsentation und Wirkungen ausschließenden hoheitlichen Sprachhandelns
Den männlichen Personenbezeichnungen in Verwaltungssprache und Rechtstexten steht fast ausnahmslos eine komplementäre weibliche Form gegenüber, so dass es sich regelmäßig nur um ein pseudo-generisches Maskulinum handelt, dessen hoheitliche Verwendung höchst rechtfertigungsbedürftig.
Der Satz ist nicht fertig, aber das nur nebenbei.
Es ist jedenfalls erst recht ein starkes Stück: Pseudo-generisches Maskulinum – das kommt wohl aus der feministischen Linguistik. Und feministische Linguistik klingt wie jüdische Physik, nur andersrum.
Jetzt sind wir endgültig an der Stelle, an der wir sagen könnten: Is eh wurscht. Die Linguistik hat unsere Haltung zu stützen, sonst taugt sie nichts. Das erinnert an religiöse Bücherverbrennungen: Entweder wird in den Büchern vertreten, was in der Schrift steht, dann brauchen wir sie nicht auch noch; wir haben ja die Schrift. Oder in ihnen steht das Gegenteil, dann gehören sie erst recht verbrannt.
Peter Eisenberg beschreibt und verteidigt das generische Maskulinum, nicht weil er ein Mann ist, sondern weil er ein Linguist ist (im Gegensatz zu Frau Lembke, der es natürlich freisteht, sich kundig zu machen und zu äußern – »du hast ja keinen Abschluss in diesem Fach« ist auch kein Argument).
Ein Sprachwissenschaftler ist kein Sprachkritiker. Er gibt kein Urteil ab, ob richtig oder falsch gesprochen oder geschrieben wird, so wie ein Zoologe auch nicht den Löwen verurteilt, welcher ein Zebra tötet. Seine Forschung liefert eine Theorie, eine Fülle von Modellen, die nicht richtig oder falsch sind, sondern zweckmäßig. Ja, wenn noch dreißig Jahre lang in dem jedem Text über Lehrer auch Lehrerinnen steht, dann liegt es nahe, dass der Autor das Wort Lehrer nur für Männer benutzt.
Die feministische Linguistik will das ein bisschen beschleunigen; sie will also nicht deskriptiv, sondern normgebend wirken. Nur – dann ist sie keine Wissenschaft mehr.
Dazu fehlt ihr neben einer gehörigen Portion an Skepsis das nötige Maß an Logik:
Aus Der Dieb ist Dresdner folgt nicht Jeder Dresdner ist ein Dieb.
Diese methodische Schwäche zieht sich durch die gesamte Arbeit. Frau Lembke amüsiert sich mit Arne Maier, welcher schreibt:
»Würde man das generische Maskulinum konsequent anwenden, könnte man Frauen auch in Art. 3 Abs. 2 GG getrost weglassen. „Männer sind gleichberechtigt“ wäre dann völlig ausreichend. Frauen wären eben mitgemeint.«
Ja, und? Wenn die Katze ein Pferd wäre, könnte man auf Bäume reiten. Wenn Quatsch, dann anderer Quatsch. Also alles Quatsch.
Das Wort Frauen kommt im Grundgesetz, von dem Frau Lembke das alles herleitet, exakt dreimal vor.
Aber das nur nebenbei. Nee, nicht nebenbei.
Die Stärke des generischen Maskulinums ist verschiedentlich erläutert worden. Ich überspringe das für den Moment, weil mir etwas anderes aufgefallen ist:
Frau Lembke und ihre Mitstreiter halten sehr wenig vom Sprachverständnis der Mitbewohner ihres Sprachraumes, und zwar in zweierlei Hinsicht.
Erstens steckt sehr viel mehr in der Sprache als einzelne Wörter. Jeder, der nicht völlig fanatisch ist, weiß, dass im vorletzten Satz nicht nur Männer gemeint sind. Ich vermute, die Zahl der Leser, die bei Mitstreiter oder Mitbewohner stocken, wird wachsen. Das liegt dann aber an der Mutwilligkeit der Gerechtigkeitseiferer. Der Kontext und das Sprachverständnis, dem man nicht mehr trauen möchte, ermöglicht sogar Nuancen:
Ja, die Mitstreiter der Frau Lembke sind wohl mehrheitlich weiblich, bei ihren Mitbewohnern liegt die Frauenquote bei etwas über 50%.
Mensch Maier, das steckt nicht in den Wörtern, sondern in ihrem Gebrauch!
Derselbe Verstand, der dies bemerkt, fühlt sich zweitens regelmäßig hereingelegt, wenn unterstellt wird, man denke bei bestimmten Wörtern automatisch an Männer. Etwa in dem Satz
»Erzieher verdienen in Kitas ab sofort 150 Euro mehr.»
Praktisch jeder der Quadrilliarden Kommentatoren bestreitet, nur oder überhaupt an Männer zu denken, was aber zu keiner Korrektur führt. Wie auch? Das framing ist ja gesetzt:
»Gendern spaltet. Manche finden es furchtbar, irritierend, unnötig – und tun Gendern als feministische Blasen-Diskussion ab. Andere sagen: Echte Gleichberechtigung können wir nur erreichen, wenn auch unsere Sprache alle Menschen abbildet. Nicht nur Männer.»
(Was bringt Gendern wirklich? | Quarks TabulaRasa)
Es wäre fair, wenn die einschlägige Diskussion die Verhältnisse richtig abbilden würde. Manche hier, andere da – als ob zwei etwa gleichstarke Gruppen einander gegenüber stehen würden.
Die junge Autorin Lucia Clara Rocktäschel bemerkt ganz unschuldig (zu einem Text mit Bürger, Kunden, Kollegen etc.):
»Vielleicht ist Ihnen auf den ersten Blick gar nicht aufgefallen, dass dieser Text nicht geschlechtergerecht gestaltet war? Das ist aber nicht schlimm. Die meisten Menschen sind das generische Maskulinum einfach so gewohnt, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, es zu hinterfragen.«
(Richtig gendern für Dummies, siehe auch https://neuleerer.blog/2021/05/18/das-elend-der-philologie/)
Natürlich fällt da keinem, wiederum abgesehen von Leuten, die es darauf anlegen, etwas auf. Jener Text ist nicht geschlechtergerecht; er ist geschlechterneutral, ja -ignorant. Wiederum erleben wir die Potenz der Sprache, die richtigen Assoziationen zu wecken.
Fragen Sie doch mal Ihre Kollegen …
Und – woran denken Sie? Ich vermute, an die Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten.
Fortsetzung folgt.
Quellenangaben ebenfalls.
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👍 hat das denn die Frau Lemke auch zum Lesen bekommen ?
Noch nicht, ich bin ja noch nicht fertig. Es ist eine Heidenarbeit, die leider keiner bezahlt.
Aber ja, ich hatte vor, es ihr und vor allem der Stadt Hannover zu senden.
Danke für’s Feedback!
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