Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen. Und nun setz dich wieder, wir müssen reden.

Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen. Und nun setz dich wieder, wir müssen reden.

»Odd as the comparison may sound at first, it’s the same disservice that members of the Hogwarts community do by refusing to mention Voldemort’s name. By refusing to label him, they prevent an open and honest discussion from taking place about possible solutions.«
(Maajid Usman Nawaz; https://bigthink.com/videos/maajid-nawaz-on-the-voldemort-effect)

Mein Vater traf den Nagel. Nicht auf den Kopf und nicht den aus Eisen, auf den er zielte, sondern den vom linken Daumen und er sagte laut ein Wort.
Papa, das sagt man nicht.
Doch, beim Arbeiten darf man fluchen.
Ich war ein Kind.

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Ich bin bei der Arbeit, verflixte Kiste!
Ich streite mit einem jungen Mann und will ihn ein bisschen piesacken, weil er öffentlich Fehler macht. Es gibt beim Bloggen keinen Lektor, keinen Korrekteur, keinen Setzer; der Fehler rutscht durch und ist dann für alle da.

Andererseits machen wir alle Fehler. »Über keine einzige neue Kamera aus der Welt der Mediamärkte & Co. hätte ich mehr gefreut … « Kann passieren. »Trete in Kontakt mit ihnen. Lese Bücher … « Warum nicht? Wenn man in Bayern wohnt.

Andererseits – oh, ich merke, meine Medaille hat schon wieder drei Seiten – ist der junge Mann nominiert für den Goldenen Vollpfosten. Quatsch, das war die heute-show. Die kann man auch nicht mehr sehen, seit der an sich sympathische Till Reiners seine Komik für anbiedernde politische Korrektheit hinwirft.

Nein, der Preis einer mir bislang unbekannten und weiterhin völlig gleichgültigen Jury heißt Die Goldenen Blogger; eine Kategorie heißt Bester Einzelbeitrag. Bester in Bezug worauf? Und wenn die drei nominerten die besten sind, will ich nach diesem Maßstab gut sein?

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JOBINSKI DENKT NACH heißt eine Kategorie, deren Name – mutantis mutandis – von mir sein könnte, und weil ich so gehässig bin, denke ich: Fein, aber warum schreibst du dann schon? Vorher nachdenken ist nicht paradox.
(alle Zitate nach: https://joleitenmeier.com/2020/04/14/ich-bin-ja-kein-rassist-aber-halt-schon/)

ICH BIN JA KEIN RASSIST, ABER HALT SCHON majuskelt es und menschelt es und buhlt es um die Gunst der Jury, zumindest der Leser.
Oder der Hörer? Es liest sich wie ein Text, der auf Pointen, auf Applaus aus ist:

»Ich bin kein Rassist, aber … Aber ich verhalte mich wie einer. Ich lebe wie einer. Das Gefühl, in einer aufgeklärten, offenen Gesellschaft ohne Diskriminierung zu leben, reicht nicht aus. Eine offene Gesellschaft misst sich nicht an Gefühlen, sondern an Tatsachen.« Hört, hört!

»Selbstkritisch kann ich mir durchaus die Frage stellen, ob ich überhaupt berechtigt bin zu behaupten, kein Rassist zu sein.«
Das kann man deutlich kürzer sagen, aber das nur nebenbei.

»Ich bin kein Rassist. Aber ich lebe in einer rassistischen Gesellschaft. Und ich gebe zu: Ich lebe nicht schlecht darin.« So isses! APPLAUS!

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»So wie Rassismus beginnt auch Offenheit und Solidarität im Kleinen und wirkt im Großen.«
Leider nicht. Und leider ist die kleine, von dir erbetene Höflichkeit

»Setze dich in die S-Bahn zu den Menschen, zu denen sich sonst keiner setzt. Lächle Menschen an. Beginne ein Gespräch mit einem Ausländer. Oder einem Behinderten. Trete in Kontakt mit ihnen. Lese Bücher von afrikanischen AutorInnen. Schaue Serien, in denen nicht nur Weiße die Hauptrolle spielen. Antworte bei ebay Kleinanzeigen auch denen, die in schlechten Deutsch schreiben.
Setze dich in der Arbeit dafür ein, … «

rührend, gut fürs Karma, aber im Großen nicht nur für nichts gut, sondern konservativ, wenn nicht reaktionär.

Das Große nämlich, von dem das alles herkommt, wird nicht beseitigt – das wäre auch ein bisschen viel verlangt – ; es enthebt sich auch jeglicher Kritik.

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Der Rassismus ist Folge der Sklaverei und dient ihr, wo er schon mal da ist, als Rechtfertigung. Der antike Sklave war vorher der überschuldete Nachbar oder der besiegte Kämpfer aus dem Nachbarland, ethnisch ohne großen Unterschied. In Nordamerika hat man die Ureinwohner, großteils wohl gar nicht absichtlich, sondern durch europäische Krankheiten, weitgehend ausgerottet. Der Import aus Afrika, der übrigens ohne die Hilfe afrikanischer Kleinfürsten in dieser Größenordnung gar nicht denkbar gewesen wäre, hatte den Vorteil, optisch leicht erkennbar zu sein. Ein Afrikaner, der um 1800 durch Louisiana lief, konnte gar nicht anders, als jemandes Eigentum zu sein; er stand damit noch unter den Angehörigen des white trash, auch wenn deren tägliches Leben womöglich noch elender war.

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Man kann den Rassismus auch mit der evolutionär ursprünglich angeblich sinnvollen Xenophobie rechtfertigen: Vielleicht waren wir mal im Oberstübchen so möbliert: Schütze dein Eigentum, deine Familie, deine Gene. Das glaube ich aber nicht; genetische Vielfalt ist gesünder. Eher ist es wohl so, dass die europäische und nordamerikanische Aufklärung, die ohne die Sklaverei in der ökonomischen Basis nicht auskommt, jene dadurch rechtfertigt, dass die benutzten Menschen mal gerade so über dem Tierreich stehen, für die Arbeit noch zu gebrauchen, nicht aber als Tischgenossen.

Und das hält sich dann, auch dadurch, dass die Angehörigen derselben Klasse einander auf Abstand halten, obwohl sie gemeinsam stärker wären. Und leider erst recht dadurch, dass die orientierungslosen weißen Mittelstandskinder mit ihrem anbiedernden Antirassismus die Grenzen zwar übersehen, aber trotzdem weiter zementieren. Die Servicekraft von McDonalds möchte nicht dein Freund sein, auch nicht, wenn du dich wegen ihrer Hautfarbe, und zwar nur wegen ihrer Hautfarbe, in der S-Bahn zu ihr setzt.

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Ja, es ist wohl doch nicht mehr als Lifestyle, wenn man sich vornimmt, nicht rassistisch zu agieren und davon zu erzählen. Man kann auch ganz allgemein höflich (und bescheiden) sein. Trage der alten Frau den Einkauf nach oben, hilf dem Nachbarkind – zumal jetzt nach dem verordneten Schulausfall – beim Lernen und kauf im Kiez ein. Schau den Leuten, verzeih mir den Kitsch, ins Herz, nicht auf die Haut. Das ist gut fürs Karma. Mehr nicht, aber das behauptet ja auch keiner.

Hab keine Angst vor Wörtern! Manche gefallen mir auch nicht. Prostatakrebs zum Beispiel oder Kabelbrand. Sie sind aber da und haben ihren Zweck. Und wenn der Zweck weg ist, sind sie immer noch da, zum Beispiel in alten Büchern, die wir trotzdem mögen. Unseren Kindern erklären wir die Wörter und selber verzichten wir auf das Wort Trigger. Wir müssen auch nicht gewarnt werden. Wir kriegen manchmal einen Schreck, den wir gut, eventuell nachdenklich, überstehen. Wir sind erwachsen.

Und nenn mich nicht Boomer!

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